ADB:Bengel, Albrecht

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Artikel „Bengel, Johann Albrecht“ von Alexander Freiherr von der Goltz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 331–333, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bengel,_Albrecht&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 12:33 Uhr UTC)
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Bengel: Johann Albrecht B., Begründer einer biblisch-prophetischen Schule in der protestantischen Theologie und hervorragender Exeget des N. T., geb. 24. Juni 1687 zu Winnenden bei Stuttgart, † 2. Nov. 1752 als Consistorialrath und Prälat in Stuttgart. Seinen Vater, Diakonus in Winnenden, verlor er schon im sechsten Jahre, wurde von einem Freunde des Hauses erzogen und vollendete seine Schulbildung auf dem Stuttgarter Gymnasium. Sein Stiefvater, der Klosterverwalter Glöckler, verschaffte ihm die Mittel, sich seit 1703 auf dem theologischen Stift zu Tübingen auf das kirchliche Amt vorzubereiten. Neben gründlichen theologischen Studien widmete er der Philologie vielen Fleiß; und auf sein Gemüth wirkten besonders die Schriften von Joh. Arndt und der Spener’schen Schule. Nach Vollendung der Universitätsstudien war er ein Jahr Vicar in Metzingen, dann Repetent im Tübinger theologischen Stift und machte 1713 eine größere wissenschaftliche Reise durch Deutschland, welche vornehmlich dem Besuch der gelehrten Schulen und dem Studium ihrer Methoden gewidmet war. Auch knüpfte er mit angesehenen Theologen, besonders aus der pietistischen Schule persönliche Verbindungen an. Im Alter von 26 Jahren (Nov. 1713) übernahm er die Stelle eines Klosterpräceptors auf dem für künftige Theologen eingerichteten Seminar zu Denkendorf, in welchem bescheidenen Amt er fast 28 Jahre mit großer Treue und Erfolg arbeitete und im Anschluß an seine nächsten Berufsaufgaben den Grund legte zu seiner fruchtbaren schriftstellerischen Thätigkeit. Seine bedeutendsten Werke veröffentlichte er als Prälat in Herbrechtingen und fürstlicher Rath (1741–49) und wurde 1749 zum Consistorialrath und Prälat in Alpirsbach mit dem Wohnsitz in Stuttgart ernannt. Erst ein Jahr vor seinem 1752 erfolgten Tode ertheilte ihm die theologische Facultät in Tübingen die Doctorwürde. Neben einer ungemein ausgebreiteten und auch in weite Ferne segensreichen seelsorgerischen Wirksamkeit vertrat B. in dem würtembergischen Kirchenregiment die Grundsätze weiser Mäßigung, welche den Privatversammlungen freiere Bewegung innerhalb der Landeskirche gestattete und viele tüchtige Kräfte vor dem Separatismus bewahrte und der Landeskirche erhielt. Es ist zum großen Theil ein Verdienst Bengel’s, daß sich der Pietismus in Würtemberg gesunder entwickelte, als im nördlichen Deutschland, und durch gründliche Vertiefung in die heilige Schrift und im engeren Anschluß an die öffentliche Kirche bis auf den heutigen Tag eine fruchtbare religiöse Kraft im Lande geblieben ist. In dem engeren Kreise seines Vaterlandes genoß daher [332] B. auch mehrere Menschenalter hindurch ein prophetisches Ansehen; eine zahlreiche Schule hervorragender Schriftforscher, Prediger und Seelsorger, wie Oetinger, Steinhofer, die beiden Rieger[WS 1], Ph. M. Hahn, Roos u. A. verehrte in ihm den geistlichen Vater. Aber auch in weiteren Kreisen wuchs Bengel’s Einfluß und Ansehen, wie denn die neuere positive evangelische Theologie in ihren namhaftesten Vertretern an die von ihm ausgegangene Anregung anknüpfte. Für seine besonnene kirchliche Stellung ist ein beredtes Zeugniß seine ebenso nachdrückliche als gemäßigte Polemik gegen die Ausschreitungen des Grafen Zinzendorf und die von ihm gegründete Herrnhuter Brüdergemeinde. Sein „Abriß der sogenannten Brüdergemeinde“, Stuttgart 1751, ist ein Muster christlicher Polemik. In der Einwirkung Bengel’s auf die Theologie unterscheiden wir zwischen dem Werth seiner zum Theil sehr hervorragenden litterarischen Arbeiten und zwischen der noch bedeutenderen geistigen Anregung, die von ihm ausging. Seine Schriften beziehen sich 1) auf die kritische Revision des neutestamentlichen Textes, 2) auf die biblische Chronologie, 3) auf die Erklärung des Neuen Testamentes. Die Ergebnisse seiner von früher Zeit mit ungemeiner Sorgfalt fortgesetzten textkritischen Studien war sein 1734 erschienenes „Novum Testamentum Graecum“, verbunden mit einem ausführlichen Apparatus criticus. Das Verdienst dieser von orthodoxer Seite damals viel angefochtenen Arbeit bestand nicht allein in der Vergleichung neuer, bei den früheren Ausgaben unbeachtet gebliebener Urkunden und Zeugen – hierin überholt ihn sein Zeitgenosse Wetstein – sondern namentlich in der Unterscheidung zusammengehöriger Familien von Handschriften und in der Beleuchtung der Grundsätze zur Ermittelung der ursprünglichen Lesart. Die neuere biblische Textkritik ist seit Griesbach von den Bengel’schen Grundgedanken ausgegangen. Weniger bleibenden Werth haben Bengel’s chronologische Arbeiten „Richtige Harmonie der vier Evangelisten“, 1736 u. 1747, „Ordo temporum a principio per periodos oeconomiae divinae historicas et propheticas etc.“, 1741, „Cyclus sive de anno magno“, 1745, „Weltalter“, 1746. Wenigstens hat seine Methode, das Alter der Welt, so wie den Zeitpunkt ihres Endes in der Zukunft Christi zu berechnen und aus den Evangelien ein genaues Bild von dem chronologischen Verlauf der Geschichte Jesu zu gewinnen, sich nicht bleibend bewährt. Allein in diesen chronologischen Arbeiten, auf die B. selbst großen Werth legte und viele Zeit verwandte, verbarg sich eine tiefe und fruchtbare theologische Idee, aus der auch die apokalyptischen Schriften Bengel’s „Erklärte Offenbarung Johannes“, 1740, „Sechzig erbauliche Reden über die Offenbarung Johannis“, 1747 hervorgegangen sind. B. sah die heilige Schrift nicht als einen dogmatischen Codex, sondern als ein Denkmal der geschichtlichen Haushaltung Gottes an, welche Christum zum Alles beherrschenden Mittelpunkt habe und vom Anfang bis zum Ende der Welt eine gleichmäßig fortschreitende Entwickelungsreihe bilde. Die innere Gliederung und Harmonie dieser historischen Entwickelung suchte er in der biblischen Chronologie auch äußerlich darzustellen und sah in dem Einblick in diese Geheimnisse der göttlichen Haushaltung eine tiefwichtige Entdeckung. So wenig nun das äußere Zahlensystem, in das er die Weltgeschichte eintheilte, oder die Deutung der Apokalypse auf den Verlauf der Kirchengeschichte, oder die Berechnung des Anfanges des tausendjährigen Reiches um das J. 1836 bleibenden Werth hat, so hat doch die reichsgeschichtliche Auffassung der Bibel und ihrer Geschichte eine neue Bahn in der evangelischen Theologie eröffnet. Das classische Hauptwerk Bengel’s ist sein „Gnomon Novi Testamenti“, Tub. 1742, ein gedrängter, aber reichhaltiger Commentar zum ganzen N. T., noch heute eine ergiebige Fundgrube für jeden Exegeten, an Klarheit und Tiefblick von keinem anderen Werk übertroffen. Auch hier weist er allenthalben auf den inneren Zusammenhang der heiligen Geschichte und deutet die biblischen Grundbegriffe, [333] frei von dem dogmatischen System, in ihrem originalen religiösen Sinn. Mit dem Gnomon begann eine neue und fruchtbarere Methode des Schriftgebrauches in der evangelischen Kirche. Das letzte Vermächtniß Bengel’s war eine mit Anmerkungen versehene Uebersetzung des Neuen Testamentes, zu der er die Vorrede wenige Wochen vor seinem Tode verfaßte, ein von bibelforschenden Laien noch immer gebrauchtes Buch. Die theologische Bedeutung Bengel’s beruht auf einer ebenso freien, vom dogmatischen System unabhängigen, als innerlichen in die Tiefen der Heilsgedanken Gottes eindringenden Exegese und deren Anwendung auf die gesammte Theologie. Er ersetzte die dogmatische Methode des Schriftgebrauches wieder durch die grammatisch-historische; blieb aber nicht beim Buchstaben und beim Einzelnen stehen, sondern führte ein in den innern Zusammenhang der göttlichen Heilshaushaltung. Wenn seither wiederholt der Versuch gemacht wurde, die Bibel als Denkmal einer göttlichen Erziehung des Menschengeschlechts auszulegen, so hat B. dazu einen nachhaltigen Anstoß gegeben. Auch seine Vorliebe für die prophetischen Schriften der Bibel stammte aus dem Blick auf das Endziel der Wege Gottes, in dessen Licht er die gesammte menschliche Geschichte betrachtete. Die mystische Tiefe eines Jak. Böhme, die ethische Wärme eines Joh. Arndt, die historische Betrachtungsweise eines Joh. Coccejus und die nüchterne, philologische Genauigkeit eines Hugo Grotius vereinigten sich in ihm. Er hat anregend, reinigend und fortbildend auf die gesammte Theologie und Kirche eingewirkt.

J. C. F. Burk, Dr. J. A. Bengel’s Leben und Wirken, Stuttgart 1831 und 1837; Hartmann in Herzog’s Theol. Realencyclopädie. Bd. II. Oskar Wächter, Joh. A. Bengel, Lebensabriß, Charakter, Briefe und Aussprüche. Stuttgart 1865. Ueber seine theologische Bedeutung: Fr. Delitzsch, Biblisch-prophetische Theologie. Leipzig 1845, und v. d. Goltz, in den Jahrbüchern für deutsche Theologie. Bd. VI. 3. Heft.


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