ADB:Hesse, Otto

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Artikel „Hesse, Otto“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 306–307, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hesse,_Otto&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 02:28 Uhr UTC)
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Hesse: Ludwig Otto H., Mathematiker, geb. am 22. April 1811 zu Königsberg, † 4. August 1874 in München. Er widmete sich den mathematischen Studien an der Hochschule seiner Vaterstadt und hörte dort die Vorlesungen jener Männer, welche die sogen. Königsberger mathematische Schule ins Leben gerufen haben, der Bessel, Jacobi, Neumann. Namentlich Jacobi’s Schüler im besten Sinne des Wortes kann man H. nennen. Noch wirkte Jacobi an dieser Universität, als H. dort sich als Privatdocent niederließ und in dieser Stellung, später als außerordentlicher Professor, von 1840–56 eine immer fruchtbarere schriftstellerisch und mündlich lehrende Thätigkeit entwickelte. Es muß als eigenthümliche Ungunst der Verhältnisse bezeichnet werden, daß H. trotz der nach beiden Richtungen hervorragenden Leistungen erst mit 45 Jahren zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Nach Halle und fast gleichzeitig nach Heidelberg berufen, eröffnete er in letzterer Stadt seine Vorlesungen im Winter 1856–57. Im Herbste 1868 folgte er sodann einem Rufe an das Polytechnikum in München. Aber schon damals besaß er nicht mehr den unverwüstlichen Körper, dessen er sich ehedem erfreut hatte, den er durch Gebirgsmärsche und ähnliche Anstrengungen zu stärken liebte. Ein schweres Leberleiden entwickelte sich langsam. Im Sommer 1874 mußte er seine Vorlesungen unterbrechen, um in Karlsbad Heilung zu suchen. Der Erfolg rechtfertigte nicht die auf das Bad gesetzten Hoffnungen. Am 4. August erlag H. in München seinen Leiden. Am 7. August wurde er in Heidelberg bestattet an der Seite eines geliebten Kindes, welches ihm 1861 vorausgegangen war. Schüler aus den verschiedensten Zeiten seiner Docentenlaufbahn umstanden den Sarg, so daß die Doppelverfügung erfüllt wurde, welche H. selbst getroffen hatte: „Ich will in dem Blumengarten meines Heidelbergs ruhen, zu Grabe geleitet von Schülern.“ Man kann in Hesse’s wissenschaftlichem Leben zwei Perioden unterscheiden, die erste, der Zeit nach so ziemlich mit seinem Aufenthalt in Königsberg sich deckend, in welcher er durch neue wichtige Entdeckungen die Wissenschaft förderte, die zweite Periode, welcher die Heidelberger und Münchner Zeit angehören, in welcher er es vorzog, die von ihm und Anderen gewonnenen Schätze in gangbare Münze umzuprägen und in Lehrbücher der Geometrie, wie er sich dieselben dachte, zu sammeln, was in Abhandlungen hie und da ungeordnet zerstreut war. So entstanden seine „Vorlesungen über analytische Geometrie des Raumes“ (1861), später die über „analytische Geometrie der Ebene“ (1865), Werke, denen man wohl, ohne ungerecht zu sein, die Eigenschaft zur ersten Einführung in die Wissenschaft dienen zu können wird absprechen müssen, welche aber für den, dem die Wissenschaft kein fremdes Gebiet mehr ist, ein Muster großartiger Uebersicht und methodischer Eleganz sein und bleiben werden. Hesse’s eigentliche Stellung in der Wissenschaft beruht, wie wir schon andeuteten, auf den Arbeiten der Königsberger Zeit, auf jenen zahlreichen Abhandlungen, welche er in Crelle’s Journal erscheinen ließ, und welche bei aller scheinbaren Verschiedenheit des Inhaltes doch wesentlich zur Ausführung einiger großer Grundgedanken dienten, welche ein Nekrolog in die Worte kleidet „Es ist H., der zuerst erkannt hat, daß die Theorie der homogenen Formen das von aller Geometrie losgelöste Untersuchungsfeld für den Algebraiker bildet, wobei [307] dann die Resultate der Forschung ihre Interpretation in denjenigen geometrischen Eigenschaften der algebraischen Curven und Flächen finden, welche wir die projectivischen nennen. Er hat weiterhin jene Theorie auch wirklich eingeleitet, indem er wenigstens die nächste der von einer Grundform abhängigen Formen, die Determinante, welche jetzt Hesse’s Namen trägt, aufstellte und ihre Bedeutung in wichtigen Problemen der Elimination und Geometrie systematisch verfolgte. So knüpfen die ersten Begriffe und die erste Entwickelung der Invariantentheorie an H. an.“ Die sogenannte Hesse’sche Determinante (Hessian nannten dieselbe die englischen Mathematiker, welche wie Cayley, Sylvester, Salmon u. A. sich mit ähnlichen Fragen anfangs fast mehr als die Deutschen beschäftigt haben) erschien zuerst 1844 im XXVIII. Bande von Crelle’s Journal in den beiden Abhandlungen „Ueber die Elimination der Variabeln aus drei algebraischen Gleichungen zweiten Grades mit zwei Variabeln“ und „Ueber die Wendepunkte der Curven dritter Ordnung“. H. selbst hielt, wie er gesprächsweise äußerte, seine Abhandlung von 1856 „Ueber die Doppeltangenten der Curven vierter Ordnung“ (Crelle XLIX) für das Beste, was er geschrieben. Dort zeige sich am Deutlichsten jene Dualität, welche H. gewissermaßen als Quelle neuer mathematischer Wahrheiten ansah, daß es keinen algebraischen Satz gebe, dem nicht eine geometrische Eigenschaft, keine geometrische Eigenschaft, der nicht ein algebraischer Satz gegenüberstehe. Die Liste seiner Veröffentlichungen, in Poggendorff’s biographisch-literarischem Handwörterbuche I, 1095–96 reicht nur bis 1857, doch sind die späteren Abhandlungen wenig zahlreich, wenn auch, wie die über das Pascal’sche Sechseck (Crelle 66, 68, 75), keineswegs unbedeutend. Zwei elementare Schriftchen über die Anfangsgründe der Arithmetik, vier Species, und über die Determinanten sind von geringer Bedeutung.

Vgl. Otto Hesse von M(oritz) C(antor) in der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Beilage zu Nr. 226, 1874 und Otto Hesse von Prof. M. Roether in der Zeitschrift für Mathematik und Physik, Bd. XX, Historisch-literarische Abtheilung, S. 77–78.