ADB:Jellinek, Hermann

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Artikel „Jellinek, Herrmann“ von Berthold Bretholz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 649–650, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jellinek,_Hermann&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 13:36 Uhr UTC)
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Jellinek: Herrmann J., Schriftsteller, geboren in Drslawitz bei Ung.-Brod in Mähren am 22. Januar 1822, kriegsgerichtlich erschossen am 23. November 1848 in Wien. Mit seinem um ein Jahr älteren Bruder Adolf, dem nachmals bekannten Kanzelredner, Orientalisten und Prediger der Wiener israelitischen Gemeinde († 1893 in Wien), erhielt er den ersten Unterricht in seinem Geburtsdorfe, dann in der Normalschule zu Ung.-Brod und zu Proßnitz. Sprachen, für die er eine große Begabung zeigte, eignete er sich durch eigenen Fleiß nur von seinem Bruder geleitet an. Als sein Bruder des Studiums wegen nach Prag gegangen war, folgte er ihm bald dahin nach und bildete sich in classischer Litteratur und Philosophie aus, sich von Anbeginn zu Kant’schen Grundsätzen bekennend. Um sich in dieser Disciplin zu vervollkommnen, bezog er 1841 die Universität Leipzig und veranlaßte auch seinen Bruder dahin zu kommen. Außer Philosophie betrieb er gleichzeitig jüdische, protestantantische und katholische Theologie, Nationalökonomie, Rechtswissenschaft, Sprachen und Litteratur, Naturwissenschaften, wie er denn überhaupt die universelle Verbindung der Disciplinen verfocht. Leider war er bei seiner großen Gelehrsamkeit excentrisch in seiner Denkungsweise und von einem unbändigen Freiheitsgefühl, das sich in seinen Broschüren und Schriften kundthat. Er veröffentlichte in dem einen Jahre 1847 „Uriel Acosta’s Leben und Lehre. Ein Beitrag zur Kenntniß seiner Moral, wie zur Berichtigung der Gutzkow’schen Fictionen über Acosta und zur Charakteristik der damaligen Juden“, „Das Verhältniß der lutherischen Kirche zu den reformatorischen Bestrebungen Nicolaus Crell’s und Christian’s I. in seinen Wirkungen auf die neuesten Ereignisse. Nebst einem Abdrucke der Visitationsartikel“, „Die gegenwärtige Krisis der Hegel’schen Philosophie“, „Die religiösen, socialen und litterarischen Zustände der Gegenwart in ihren praktischen Folgen untersucht“, „Die religiösen Zustände der Gegenwart oder Kritik der Religion der Liebe“, „Die Täuschungen der aufgeklärten Juden und ihre Fähigkeit zur Emancipation mit Bezug auf die von der preußischen Regierung dem vereinigten Landtage über die Juden gemachten Präpositionen“ u. a. m.

Sein überaus freies Auftreten an der Universität und im öffentlichen [650] Leben bot der sächsischen Polizei den Vorwand, ihn auszuweisen. Er rächte sich durch die Veröffentlichung einer Broschüre „Das Denunciationssystem des sächsischen Liberalismus und das kritisch-nihilistische System Herrmann Jellineks“ und ging nach Berlin, um seine Studien, aber auch seinen Kampf gegen die tonangebenden Ideen der vormärzlichen Zeit in Wort und Schrift fortzusetzen. Als er hier Vorlesungen über Nationalökonomie ankündigte, wies man ihn auch aus Berlin fort, worauf er sich noch im J. 1847 nach Wien begab. Mehr um seinen Lebenserwerb zu finden als aus innerer Zuneigung, wandte er sich der publicistischen Thätigkeit zu; er schrieb anfangs Leitartikel für die gemäßigtere „Allgemeine österreichische Zeitung“, übernahm aber bald neben Becher als Chefredacteur die Leitung des gefürchteten Blattes „Der Radicale“. Hier kämpfte er in der heftigsten Weise und mit ungezügelter Leidenschaft gegen alle politischen, kirchlichen und socialen Zustände, dagegen blieb er allen Demonstrationen in der Aula, im Reichstag und in den Vereinen vollkommen fern. Damals verfaßte er seine Broschüren „Kritischer Sprechsaal für die Hauptfragen der österreichischen Politik“ (Wien 1848) und „Kritische Geschichte der Wiener Revolution vom 13. März bis zum Constituiren der Reichstage“ (Wien 1848). Als er nach der Niederwerfung des Aufstandes fortfuhr zum äußersten Widerstande anzueifern, um die constitutionellen Freiheiten zu retten, wurde er am 5. November im Hause der Baronin Perin verhaftet, am 20. verhört und zum Tode durch den Strang verurtheilt. Wie er sich früher allen Rathschlägen aus Wien zu fliehen, widersetzt hatte, so verhielt er sich auch bei seinem kurzen Verhöre standhaft und trotzig. Seine Verurtheilung erfolgte wegen hochverrätherischer Aufwiegelung des Volkes, wiewol er sich an dem äußeren Kampfe nie betheiligt hatte. Am Abend vor seiner Justificirung durch Pulver und Blei, zu der er begnadigt wurde, rief er aus: „Meine gedruckten Ideen können nicht erschossen werden“. Das Todesurtheil wurde an ihm und Dr. Becher gemeinsam im Stadtgraben vor dem Neuthor vollzogen.