ADB:Karl Martell

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Artikel „Karl Martell“ von Heinrich Hahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 121–127, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karl_Martell&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 14:02 Uhr UTC)
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Karl (Martell) ist eine „überwältigende“ Persönlichkeit des Mittelalters. Als Neugründer des fränkischen Reiches, als Begründer der karolingischen Dynastie und Politik ist er recht eigentlich der Vorgänger seiner Söhne und besonders seines Enkels Karls des Großen.

K., der Sohn Pippins des Mittlern, etwa 688 n. Chr. von einer zweiten Gemahlin desselben, Chalpaida, geboren, einer vornehmen und schönen Frau, erhielt [122] von seinem Pathen, dem Erzbischof Rigobert von Rheims, jenen echt deutschen Namen. Die Beinamen Tudites, Martellus (Hammer), jetzt so eingebürgert, empfing er erst in späteren Jahrhunderten, nicht mit Unrecht, da er mit wuchtigen Schlägen die Reichsfeinde niedergeschmettert und das lockere Reich zusammengeschweißt hat. Als Jüngling war er schön und körperlich rüstig. Früh vermählt, wol erst mit Chrotrudis, und nach deren Tod 725 mit Swanehilde aus Baiern, hatte er von der ersteren 2 Söhne, Karlmann und Pippin, der eine lange vor, der andere kurz nach dem Tode des Großvaters geboren, von der zweiten Grifo. Von andern, wahrscheinlich unehelichen Söhnen werden Hieronymus, Remedius, Bischof von Rouens, erwähnt, vielleicht auch Bernhard, der Vater von Adalhard und Wala. Ein Bruder, jedenfalls ein naher Verwandter, war Childebrand, der mit seinem Sohne Nivelung zusammen der Urheber seiner Hausgeschichte wurde. – Von Charakter war K. durchgreifend und rücksichtslos, selbst gegen Nahestehende und gegen die Kirche, besonders in Fällen des Staatswohls, voll nationalen Sinnes, richtigen politischen Instinkts, kriegerischen Geschicks und bei aller Kühnheit vorsichtig.

Sein erstes Auftreten bezweckte das bedrohte Lebenswerk seines Vaters und das eigne Leben gegen die Nachstellungen seiner Familie und der neustrischen Gegner zu retten. Dem Vater waren 2 Söhne erster Ehe im Tode vorangegangen. Von den Enkeln hatte sterbend er einem, Theudoald, das Majordomusamt übertragen. Seine Frau Plektrudis hatte die Verwegenheit inmitten lauernder Feinde des In- und Auslandes Regentschaft und Vormundschaft auf ihre Schultern zu nehmen. K., durch Person und Anhang gefährlich, wird von ihr gefangen gehalten, entflieht aber, um im drohendsten Augenblick als Retter der Haus-, Stammes- und nationalen Interessen zu erscheinen; denn die neustrische Nationalpartei, durch die unwürdige Neuerung der Herrschaft eines Kindes und Weibes von feindlichem Stamme zum Aufstand gestachelt, siegt im Walde von Cuise (cotia silva) s. ö. von Compiègne, über die austrasischen Anhänger in Neustrien, jagt Theudoald in die Flucht und setzt sich wieder einen eignen neustrischen Majordomus, Raganfred, ein (715). Dieser aber verschmäht es nicht, Bündnisse mit den Reichsfeinden zu schließen. Die Sachsen verheeren den rheinischen Gau der Hattuarier; der heidnische Friesenfürst Ratbod, der als Lohn das seit 689 an die Franken verlorene Westfriesland, d. h. fast die gesammte Küstengegend des heutigen Belgiens und der Niederlande zurückgewinnt, rückt zu Schiff bis nach Köln, dem Sitz der Plektrudis, vor (716). In Verbindung damit stehen 2 wiederholte Feldzüge der Neustrier an die Maas und bis nach Köln unter Raganfred und dem neuen König Chilperich II. (Daniel), den sich jener zur Deckung aus dem Kloster geholt hat. Im Süden suchen die Bischöfe Savaricus und sein Nachfolger Hainmar von Auxerre durch Eroberung der Nachbargaue sich eine selbständige Herrschaft zu gründen. Das zwiespältige Pippinidenhaus vermag dem vereinten Andrange nicht zu widerstehen. K., von Ratbod geschlagen, flieht, um sich wahrscheinlich inmitten seiner Stammgebiete in der Eifelgegend Kräfte und Anhänger zu sammeln. Plektrud wird zur Auslieferung ihrer Schätze und zur Anerkennung Chilperichs gezwungen. Dem Siege Ratbods folgt in Friesland die heidnische Reaction. Das junge Christenthum wird unterdrückt, die Bekehrer verjagt und die Kirchen zerstört. In dieser Zeit der Gefahr macht sich K. durch einen glücklichen Ueberfall auf das sich zurückziehende neustrische Heer bei Amblève, südlich von Lüttich, Luft (716) und vermehrt die Zahl seiner Anhänger, z. B. durch den Bischof von Verdun. Nach beiderseitiger Rüstung und vergeblichen Friedensvorschlägen von Karls Seite, schreitet dieser zum Angriff gegen Neustrien vor. Der Sieg bei Vincy (bei Cambrai, am 21. März 717) entscheidet. Die Gegner werden bis nach Paris verfolgt. Mächtige Bischöfe müssen Farbe bekennen. [123] So wird Rigobert von Rheims, sein Pathe, der ihm die Thore nicht öffnen wollte, durch den kriegerischen Laienbischof Milo ersetzt. In Köln zwingt K. durch einen Aufstand Plektrud zur Auslieferung seines Familienerbes. Gegen Chilperich deckt er sich durch Einsetzung eines merowingischen Gegenkönigs unbekannter Abstammung, Chlotars IV. (717-719).

So gefestigt, schreitet er zum Angriff auswärtiger Feinde und entfremdeter Reichstheile. Ein Verwüstungszug bis an die Weser bestraft die Sachsen für den Einfall in den Hattuariergau (718). Dazu befreit ihn der Tod von seinem Gegner Ratbod (719), nach dem ein friedlicher Nachfolger regiert.

Inzwischen haben sich die Neustrier mit Herzog Eudo von Aquitanien verbündet und durch Anerkennung seiner Unabhängigkeit vom Frankenreich einen großen Reichstheil ihren partikularen Interessen geopfert. Der Sieg Karls bei Soissons (719) aber zwingt Raganfred zur Flucht nach Angers, wo er später belagert wird und darnach vielleicht gegen Gewährung dieser Grafschaft seinen Frieden mit dem Sieger macht. Eudo und Chilperich werden bis gegen Orleans verfolgt, der letztere ausgeliefert, aber, da glücklicherweise inzwischen Chlotar gestorben ist, wahrscheinlich als alleiniger König anerkannt; doch macht er durch seinen Tod Theuderich IV. (720–737) Platz, der, obwol minderjährig, aus seinem Erziehungsaufenthalt Kloster Chelles geholt wird. Neustrien und Austrasien sind nun wieder vereint unter einem König und Majordomus. Eine Sonderung in der Stellung beider Länder wird geflissentlich vermieden.

Die nächsten 20 Jahre liegt K. ruhelos kriegerischen Unternehmungen ob, die meistens der Wiedergewinnung entfremdeter Reichstheile gelten. Jahre der Ruhe werden in den Annalen besonders verzeichnet. In die weittragendsten Kämpfe verwickelt ihn Aquitanien. Durch den Frieden mit Karl und ein Bündniß mit dem arabischen Grenzfeldherrn gestärkt, faßt Herzog Eudo nach 10 Jahren den Entschluß, das Bündniß mit K. zu brechen. Eine zweimalige Verwüstung seines Landes ist seine Strafe (731). Statt der gehofften Hülfe von den Arabern zieht ein Aufstand seines Schwiegersohnes die Araber gerade als Feinde in das Land, bringt Eudo in doppelte Verlegenheit, K. aber in die Lage, sich Ruhm und die Oberherrschaft über Aquitanien zu erwerben. Der spanische Statthalter Abderaman siegt nämlich mit großem Heere über Eudo und dringt unter Einäscherung von Städten und Kirchen bis in die Nähe von Tours vor. Da ruft Eudo seinen Besieger zu Hülfe. Dieser kommt wahrscheinlich mit dem Heerbann des ganzen merowingischen Reiches, von einem spanischen Annalisten als Heer von „Europäern“ bezeichnet, vereint sich mit seinem früheren Gegner, nimmt nordöstlich von Poitiers beim Flecken Cenon (Arr. Châtellerault) eine Defensivstellung. Sieben Tage beobachten sich die Feinde. An einem Octobersonnabend (732) beginnt die Schlacht. Die Angriffe der Araber prallen an der „unbeweglichen Mauer“ der Austrasier ab. Abderaman fällt. Groß ist der Verlust der Araber, klein der der Franken. Am andern Morgen finden die Sieger das Lager verlassen und voll Beute. Der Sieg rettet Germanen- und Christenthum in Europa; er ist eine Art Wiederholung der Schlacht auf den katalaunischen Feldern. Die Franken waren der letzte Wall vor muhammedanischer Ueberschwemmung. Weder Britten noch Langobarden wären widerstandsfähig gewesen. Fünfzig Jahre früher waren es auch nicht die Franken. Die dauernde Rettung ist freilich wol den Stammes- und Religionszwisten der Araber in Spanien und Afrika und der dadurch veränderten Lage und Organisation zu verdanken. Die Angabe von einer Verfolgung der Feinde und Belagerung Narbonnes beruht auf Irrthum. Auf dem Rückwege nimmt der Sieger den Bischof Eucharius von Orleans, der einem gefährlichen kriegerischen Geschlecht angehört und mit Savaricus von Auxerre verwandt ist, wol als politischen Parteigänger gefangen und [124] führt ihn mit sich nach Köln. Auch von anderen Störenfrieden hatte ihn theils der Tod, theils sein Arm befreit. Seine Erkrankung (723) gab vielleicht das Signal zu einem Aufstande seiner Stiefneffen, zweier Söhne Drogo’s und seines Gegners Raganfred, Der eine Neffe ward gefangen, der andere starb (723). Raganfred aber, der, wie oben erwähnt, gezüchtigt, aber auch versöhnt ward, starb 731. Ein anderer Neffe Hugo, geistlichen Standes, ward um so reicher für seine Treue belohnt; er erhielt die Bisthümer Rouen, Paris, Bayeux und die Klöster Wandrille und Jumièges.

Nach Eudo’s Tod (735), der sich bis dahin still verhalten hatte, dringt K. sofort im Einverständniß mit seinen Großen bis an die Garonne und besetzt da Bordeaux und alle übrigen Städte und Burgen des südwestlichen Aquitaniens. Doch machen Eudo’s Söhne, Hatto und Chunold, einen Kampf nöthig (736). Der erstere wird gefangen, der andere erhält gegen ein Treuversprechen die Regierung unter fränkischer Oberhoheit; doch bleibt das Verhältniß ein lockeres. Bei der Reichstheilung von 741 wird Aquitanien nicht genannt. Zur völligen Unterwerfung bedarf es noch schwerer Kämpfe unter Pippin und Karl dem Großen.

Die Araber werden auch Veranlassung zur endgültigen Unterwerfung Burgunds, das durch seine Zersplitterung in kleine geistliche und weltliche Herrschaften jene eher herbeizulocken, als abzuhalten im Stande war. Schon 733 trifft K. energische Maßregeln zur Sicherung des Landes, setzt erprobte Männer als Beamte ein; dasselbe thut er in Lyon, mit dem er einen Vertrag schließt, und wendet sich dann im Vertrauen auf die Sicherung des Landes gegen nördliche Feinde. Die Araber aber bedrohen unter dem neuen Statthalter von Narbonne Jussef-ibn-Abderaman die Provence (735), besetzen Arles im Einvernehmen mit den Bewohnern und brandschatzen das Land 4 Jahre lang. Da rückt K. nach der Unterwerfung der Söhne Eudo’s mit einem Heere gegen Arles, sichert sich jedoch erst den Rücken, indem er die Bewohner von Lyon, sowie die Vornehmen und Beamten des Landes bis Marseille hin den Eid der Vasallentreue schwören läßt und setzt in dem wiedergewonnenen Arles seine Beamten ein (736). Möglicherweise ist dieser Zug aber mit dem ersterwähnten identisch. Ein neuer Einfall der Araber und die Wegnahme der Stadt und Burg Avignon mit Hülfe einheimischer Verräther, besonders eines Herzogs Maurontus, rufen K. wieder herbei. Eben war Theuderich IV. gestorben (737). Durch diesen Todesfall vielleicht vorläufig verhindert, sendet der Majordomus Childebrand, den er mit Besitz bei Autun belehnt hatte, mit einem Heere voraus, das in aller Eile bis Avignon vorrückt, Stadt und Umgegend einnimmt und die Belagerung der Festung beginnt. Nach dem Eintreffen Karls wird der Sturm mit Hülfe von Belagerungsmaschinen unternommen. Er gelingt: denn K. erscheint im Festungskrieg ebenso wie in der Feldschlacht bewandert. Die Besatzung, wol die arabische, wird niedergemetzelt, dann geht es über den Rhonefluß bis Narbonne, um hier die Quelle der Angriffe zu verstopfen. Auch hier findet eine kreisförmige Einschließung am Audeflusse statt. Ein arabisches Entsatzheer findet den Zugang von der Flußseite her versperrt, dringt daher von Süden her heran. Mit Zurücklassung eines Beobachtungscorps vor Narbonne eilt K. ihm entgegen. An der Mündung des Flüßchens Berre in den Küstensumpf Sijean (3½ Meilen südwestlich von Narbonne) bei einem alten Palaste Athaulfs schlägt er die Feinde so, daß die Flüchtigen in den Gewässern durch eigenes Drängen und feindliche Geschosse haufenweise den Tod finden (737). Mit großer Beute zurückkehrend, durchzieht er verwüstend ganz Gothien, die Mauern fester Städte wie Nimes, Bezières u. a. m. schleifend, wol um den Feinden keine festen Stützpunkte zu lassen und die christlich-gothische Bevölkerung für den Verrath zu züchtigen. In Nimes [125] wurde dabei das großartige römische Amphitheater zerstört. Die Belagerung von Narbonne aber gab er aus uns unbekannten Gründen auf; das Beobachtungsheer, das wol nur noch den Rückzug decken sollte, ward nach Vollendung desselben auch zurückgezogen. Die schließliche Unterwerfung ganz Septimaniens, wie Narbonnes erfolgt erst unter König Pippin (752, 759). Ein neuer Einfall der Araber in die Provence wird mit langobardischer Hülfe zurückgewiesen (738 oder 739). Vielleicht hängt mit diesem Angriff eine zweite Erhebung des Herzogs Maurontus zusammen, die wiederum Childebrand und K. herbeizieht (739). Bis an die Meeresküste dringen sie vor. Der flüchtige Maurontus rettet sich in unzugängliche Felsenfestungen. Kein Widerstand erhebt sich weiter. Völlig zuverlässig erscheint aber das Land noch nicht. Nach der Rückkehr erkrankt K. zu Verberie an der Oise.

Wie er hier im Süden die muhammedanischen Glaubensfeinde in Schranken hält, so im Norden die heidnischen, die Friesen und Sachsen. Diese überwindet er mehrmals (720, 722?, 724, 738); das letzte Mal setzt er bei der Lippemündung über den Rhein und macht einen Theil der Sachsen tributpflichtig. Bei den Friesen lebte der Nachfolger Ratbod’s, Aldgisl mit den Franken in Frieden. Das verlorene Westfriesland wurde wieder fränkisch. Wilbrord, der Friesenapostel, den K. 722 wahrscheinlich im Bisthum Utrecht bestätigt hat, wirkte daselbst, auch drei Jahre gemeinsam mit Bonifatius, unter Karls Schutz mit großem Erfolg an der Bekehrung des Volkes. Eine letzte Empörung desselben unter einem Herzog Bobo (733, 734) wird gedämpft, der Führer getödtet, die Heidentempel mit Feuer zerstört, das Land so gründlich beruhigt, daß erst 782 wieder Aufstände entstehen. Heidnische Gebräuche zu üben verbot K. bei schwerer Strafe.

Trotz Willkür betreffs Kirchenstellen und Kirchenbesitz war er doch dem christlichen Glauben und seinen Glaubensboten nicht feindlich gesinnt. Willibrord in Echternach und Utrecht, Pirmin in Reichenau, Verdun, sein Lieblingskloster St. Denys, wo seine Söhne erzogen wurden und das er sich zur Grabstätte wählte, erhielten Beweise seiner Gunst. Bonifaz empfängt von ihm auf Bitten Gregors II., der seine religiöse Gesinnung rühmt, einen Schutzbrief für sich und die Seinen. Ausdrücklich schreibt B. diesem Schutze die Möglichkeit zu, seine Gemeinden, Geistliche, Mönche lenken und vertheidigen und den Götzendienst ausrotten zu können. Durch seine Hülfe gelingt die Bekehrung der Hessen und Thüringer, verbreiten sich Kloster- und Kirchenbauten. Nicht ohne seine Zustimmung kann Bonifaz seine bischöflichen und erzbischöflichen Vollmachten empfangen und ausgeübt haben. In den alten Reichstheilen hat K. freilich das verfallene kirchliche Leben nicht gerade verbessert. Das geschah erst unter seinen Söhnen. Aber er hat den Verfall auch nicht zuerst und allein verschuldet. Die verwilderte, verweltlichte Geistlichkeit mit Herrschaftsgelüsten und Ausnützung des Kirchenguts zu persönlichen Zwecken fand er bereits vor. Sinn für kirchliche Verbesserung und geistliches Zusammenwirken war auch vor ihm nicht da; denn 60–70 Jahre war nach Bonifaz keine Synode in Gallien mehr abgehalten worden, d. h. also schon seit fast dem letzten Viertel des 7. Jahrhunderts nicht mehr. K. hat die vorgefundenen Zustände nur energisch ausgenützt, geistliche Gegner ohne Rücksicht auf kirchliche Rechte und Gesetze abgesetzt, gefangen, ihrer Besitzungen beraubt, diese an Parteigänger, Verwandte und Getreue vergabt, oft 2 bis 3 Bisthümer oder Klöster einem zugewandt, wie dem Milo von Rheims und seinem Neffen Hugo, mitunter Leuten von recht weltlicher und kriegerischer Gesinnung; aber auch mit Verwandten und Freunden, wenn sie hinderlich wurden, machte er nicht viel Umstände, wie mit Rigobert von Rheims, mit Wido von S. Wandrille, den er einer Verschwörung wegen hinrichten ließ. [126] Willkürliche Behandlung der Geistlichen und Benutzung der Kirchengüter zu persönlichen, zu staatlichen und militärischen Zwecken steht also fest. Planmäßige Säcularisation aber und Begründung eines militärischen Seniorats ist nicht nachweisbar. Das Gedächtniß für das, was er dem christlichen Glauben leistete, war rasch erloschen, und der Geistlichkeit der nächstfolgenden Jahrhunderte nur die Erinnerung an die Bedrückung der Kirche geblieben, die sie der Sagenbildung gemäß an einen geeigneten Namen knüpfte. So entstand die Legende von seinen Höllenqualen und den Zeichen göttlichen Zornes bei der Oeffnung seines Grabes. Glaubwürdige zeitgenössische Zeugen, wie Bonifaz, Gregor II. und III. haben kein Wort des Tadels für ihn.

Im Gegentheil, Gregor III., durch den Langobardenkönig Liutprand bedrängt, wendet sich mit mehrfachen Briefen und Gesandtschaften (739, 740) an ihn um Hülfe, bis dahin „unerhört“, schickt ihm die goldenen Schlüssel zum Grabe Petri, des Apostels Fesseln und andere Geschenke, um ihm den Schutz der römischen Kirche und der Stadt Rom zu übertragen mit dem Anerbieten, daß er sich von Byzanz lossagen wolle. K. war nur nicht in der Lage zu helfen; denn Liutprand, mit ihm befreundet, hatte einst seinen Sohn Pippin durch das Symbol des Haarabschneidens adoptirt, ihm auf seine Bitten durch einen Einfall in die Provence gegen die Südfrankreich und Oberitalien gleichmäßig bedrohenden Araber Luft gemacht und war überhaupt eine in Charakter, Streben und Erfolg ihm congeniale Persönlichkeit. K. beschränkte sich daher auf Geschenke, freundlichen Empfang der Gesandten, Vermittelungsversuche, scheint aber weiteres Vorgehen im Einvernehmen mit seinem Volk abgelehnt zu haben. Sein Tod schnitt alle Verhandlungen ab. Aber auch hier bahnt die fränkische Machtentfaltung durch ihn bereits das Schutzverhältniß zwischen der karolingischen Dynastie und der römischen Kirche an, das unter Pippin sich weiter entwickelt, unter seinem Enkel Karl seinen großartigen Ausdruck erhält.

K., schon früher mehrfach erkrankt, erliegt endlich am 22. Octbr. 741 zu Kiersy an der Oise einem Fieber, nachdem er die Kirche von St. Denys noch reichlich beschenkt hatte, wo er seine Ruhestätte fand. Seit Theuderichs Tod 737 hatte er ohne König regiert. Die Urkunden aber wurden nach dem Tode des Merovinger-Königs berechnet. Der Papst beehrte ihn mit dem Titel „subregulus“, „Unterkönig“; er selbst begnügte sich bescheiden und vorsichtig mit der Bezeichnung „Durchlauchtiger Mann“ und „Majordomus“. Aber wie ein König theilte er sein Reich unter seine Söhne. Der ältere, Karlmann, erhielt die rein germanischen Gebiete Austrasien, Alemannien, Thüringen, der jüngere, Pippin, die galloromanischen: Neustrien, Burgund und die Provence. Pippin besetzte sofort unter Begleitung seines erfahrenen Oheims Childebrand das unsichere burgundische Erbtheil. Baiern, das K. mehrmals (725, 728), ebenso wie den Herzog Lanfrid von Alemannien (725, 730) bekämpft hatte, und wo Bonifaz unter dem neuen Herzog Odilo seine kirchliche Organisation mit der Einrichtung von 4 Bisthümern begonnen hatte (739), blieb in nur äußerlicher und widerwilliger Unterordnung. Alemannien aber war seit dem Tode Lanfrids (730) offenbar in größerer Abhängigkeit, vielleicht ganz ohne Herzöge. Beide Länder tragen auch in ihren Gesetzbüchern Spuren oberherrlicher Einwirkung. Trotzdem ward Baiern so wenig wie Aquitanien wegen dieser losen Verbindung in die Erbtheilung mit aufgenommen. Schließlich entgingen beide Länder der einmal angebahnten Einverleibung nicht. Die verhängnißvollen Mängel der alternden Dynastie, Familienzwiste infolge von Reichstheilungen, hat auch die werdende nicht von sich abgehalten, aber für den Anfang glücklich überwunden. Grifo, der Lieblingssohn zweiter Ehe, erhielt unter dem Einflusse seiner Mutter Swanahilde, die vielleicht bei der Gelegenheit ihrem Gemahl in Paris Schwierigkeiten [127] bereitete, einen Länderantheil von Neustrien, Austrien und Burgund mitten im Reich, aber gegen den Wunsch der Franken. Das ward nach dem Tode Karls Signal zu einem Bruderkriege.

So hatte K. den Grund zur Hausmacht, zur Reichseinheit- und größe, zur Ausbreitung und zum Schutz der christlichen Kirche gelegt. Den Söhnen und dem Enkel war es vorbehalten, das Gewonnene zu behaupten, das Angefangene zu beenden, das Versäumte nachzuholen.

Vgl. Ed. Cauer († 1881), De Karolo Martello, Diss., Berlin 1846. – G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte III, S. 8–31. – Th. Breysig († Mai 1881), Jahrb. des fränk. Reichs 714–41. Die Zeit Karl Martells, Leipz. 1869. – G. Richter, Annalen des fränk. Reichs, Halle 1873. S. 182–201. – Engelbert Mühlbacher, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern. Nach J. F. Böhmer. Innsbruck 1880.