ADB:Loder, Justus Christian von

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Artikel „Loder, Justus Christian von“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 76–79, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Loder,_Justus_Christian_von&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 04:27 Uhr UTC)
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Loder: Justus Christian von L., kaiserlich russischer Geheimrath zu Moskau, war geboren zu Riga am 12. März (28. Febr.) 1753. Sein Vater, Johann L. aus dem Fürstenthum Bayreuth gebürtig, war 1728 als Rector des Lyceums und Diaconus der Kirche zu St. Jacob nach Riga berufen worden und starb daselbst 1775. Von 1769–1773 besuchte unser L. das Lyceum und erwarb, von seinem Vater, einem großem Gelehrten, trefflich geleitet, frühzeitig ausgezeichnete Kentnisse, so daß er schon, ehe er zur Universität abging, als Schriftsteller auftrat (Uebersetzung des 3. Theiles von Euler’s Lettres à une princesse d’Allemagne, 1772. – Einige philosophische Abhandlungen, 1773. – Uebersetzung von Krascheninikow’s Beschreibung von Kamtschatka). 1773 bezog er die Universität Göttingen zum Studium der Medicin, erlangte daselbst 1777 die medicinische Doctorwürde, nachdem er schon 1775 mehrere naturhistorische Abhandlungen im „Naturforscher“ aus dem Russischen und Französischen und 1776 Vitet’s Unterricht in der Vieharzneikunst übersetzt und herausgegeben hatte. Bereits 1778 wurde er als ordentlicher Professor der Medicin, Anatomie und Chirurgie und Mitglied des akademischen Senats und der medicinischen Facultät nach Jena berufen. Auf Kosten des Herzogs von Weimar machte er dann in den Jahren 1780 und 1781 eine wissenschaftliche Reise nach Frankreich, England und Holland und hatte dabei Gelegenheit, die Bekanntschaft der berühmtesten Männer daselbst (wie Default, Louis, Vicq d’Azyr, Daubenton, Portal, Baudelocque, David – William und John Hunter, Pott, Banks, Baillie – Camper, Sandifort, Bonn) zu machen und sich ihrer Unterweisung zu erfreuen. Nach seiner Rückkehr errichtete er in Jena ein neues anatomisches Theater, eine medicinisch-chirurgische Klinik, ein Hospital und eine Entbindungsanstalt, wurde Oberaufseher des Naturaliencabinets, auch Stadt- und Amtsphysikus, sowie weimarischer Hofrath und Leibarzt. Bei der Errichtung der klinischen Anstalten hatte er sich der Beihülfe seiner Collegen: Stark d. Aelt., Hufeland, Himly, Succow, Bernstein zu erfreuen. Während der 25 Jahre, die L. in Jena war, lehrte er Anatomie, Physiologie, Geburtshülfe, gerichtliche Medicin und Naturgeschichte und trug durch seine lichtvollen Vorträge, durch die er Alles elektrisirte und denen nicht selten auch Goethe als Zuhörer beiwohnte, sowie durch seine Schriften sehr viel zur Berühmtheit der Universität bei, die er auch nach außen hin zu repräsentiren verstand, da sein Haus in Jena das glänzendste war. Er verfaßte in dieser Zeit gegen 40 Programme und eigene Dissertationen aus allen den von ihm vertretenen Fächern und gab die folgenden größeren Schriften heraus: „Anatomisches Handbuch“, 1. Band, 1788 (2. Aufl. 1800), „Anfangsgründe der chirurgischen Anthropologie und der Staatsarzneikunde“, 1791 (2. Aufl. 1793, 3. Aufl. 1800; 1799 auch ins Schwedische übersetzt), „Chirurgisch-medicinische Beobachtungen, mehrentheils in der herzogl. sachsen-weimarischen Krankenanstalt zu Jena gesammelt“, Bd. I. 1794, und sein Hauptwerk: „Anatomische Tafeln zur Beförderung der Kenntniß des menschlichen Körpers, mit teutschem und lateinischem Text“, 1794–1803, 182 Folio-Kupfertafeln in 6 Abtheilungen mit Text. Auch begann er die Herausgabe eines „Journal für die [77] Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde“, das in 4 Bänden von 1797–1806 erschien und für welches er selbst mehrere Abhandlungen lieferte. Außerdem schrieb er als Handbuch für seine Vorlesungen „Anfangsgründe der Chirurgie“, 1800, übersetzte R. W. Johnson’s Neues System der Entbindungskunst (1782) aus dem Englischen, lieferte Beiträge zu dem „Taschenbuch für deutsche Wundärzte“, zu Buchholz’s „Beyträgen zur gerichtlichen Arzneigelahrtheit und zur medicinischen Policey“, zu Kausch’s medic. und chirurg. Erfahrungen etc., schrieb Vorreden zur F. Hirsch’s praktischen Bemerkungen über die Zähne und einige Krankheiten derselben, sowie zu Froriep’s Uebersetzung von Ev. Home’s Behandlung der Fußgeschwüre etc. Bei dieser erstaunlichen Thätigkeit, die vorzugsweise der Anatomie und Chirurgie gewidmet war, legte er auch eine anatomische Präparatensammlung an, die zu ihrer Zeit sehr geschätzt wurde. Es war dies mit um so größeren Schwierigkeiten verbunden und um so verdienstlicher, als für anatomische Zwecke verwendbare Leichen in Jena sehr knapp bemessen waren und über deren Benutzung auch noch Rivalitäten bestanden. – Nachdem L. im J. 1799 zum Geh. Hofrath ernannt worden, verließ er 1803 Jena, um einen neuen Wirkungskreis in Halle zu übernehmen. Er wurde preußischer Geh. Rath und ordentlicher Professor der Medicin daselbst, gründete auch dort eine medicinisch-chirurgische und eine geburtshülfliche Krankenanstalt und richtete das anatomische Theater neu ein. Auch in Halle lehrte er Anatomie, Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Medicin. Nachdem Halle in die Gewalt der Franzosen gekommen (1806) und Stadt und Universität dem neugebildeten Königreich Westfalen einverleibt worden waren, schlug L. den Antrag, in die Dienste dieses Staates zu treten, aus. Er ging vielmehr nach Königsberg, wurde 1808 Leibarzt bei der sich daselbst aufhaltenden preußischen Königsfamilie und erhielt 1809 (27. Novbr.) als er aus diesem Dienste wieder ausschied, zur Belohnung ein preußisches Adelsdiplom. Er privatisirte hierauf zu St. Petersburg und Moskau, und wurde vom Kaiser Alexander, der großes Wohlgefallen an ihm fand, 1810 zum Wirklichen Staatsrath und Leibarzt ernannt und ihm freigestellt, seinen Aufenthalt nach Belieben zu bestimmen. Er wählte Moskau. Aus der Zeit von seinem Abgange aus Jena bis zu seiner Uebersiedelung nach Moskau findet sich nur eine einzige Schrift: „Grundriß der Anatomie des menschlichen Körpers. Zum Gebrauche bei Vorlesungen und Secir-Uebungen“, Thl. I, 1806. – In Moskau fand sich bald eine außerordentliche Thätigkeit für ihn. Als Mitglied des medicinischen Reichcollegiums erhielt er während des Krieges von 1812 den Auftrag für die in Moskau befindlichen russischen Verwundeten zu sorgen. Nachdem die Stadt von den Russen geräumt und von den Franzosen besetzt war, errichtete er für 31000 Verwundete in den Städten und Kreisen Kasimow, Jelatma und Melenki temporäre Militärhospitäler und führte die Oberaufsicht über dieselben 8 Monate lang bis zu Ende. Nach Moskau zurückgekehrt, übernahm er 1813 den Vorsitz bei einer gegen die Verwaltung des dortigen großen Militärhospitals gerichteten Criminaluntersuchung, welche ein Jahr lang dauerte. Mit Muth und Kraft enthüllte er dabei die stattgehabten Mißbräuche und Vergeudungen, worauf ihm die neue Einrichtung und Oberleitung dieses Hospitals übertragen wurde. Er führte dieselbe 3 Jahre lang und fügte demselben ein in einem eigenen Gebäude eingerichtetes Hospital für Offiziere hinzu, zu dessen bequemerer Ausstattung er von patriotischen Mitgliedern der Moskauer Kaufmannschaft einen freiwilligen Beitrag von 25 000 Rubeln erhalten hatte. 1817 erhielt er die dringend gewünschte Entlassung von dieser Anstalt, bekam aber Aufträge zur Verbesserung anderer Hospitäler, mehrerer Casernen, Gefängnisse und medicinalpolizeilicher Einrichtungen. Die Ritterschaft des Moskau’schen Gouvernements ehrte seine [78] ebenso uneigennützige als rastlose Thätigkeit dadurch, daß sie ihm ein Mitgliedsdiplom und die zum Andenken des beendigten Krieges für den Adel gestiftete Medaille ertheilte. – Als der Kaiser Alexander 1818 Loder’s anatomisch-chirurgische Sammlung für 50 000 Silberrubel angekauft und der Universität Moskau geschenkt hatte, erbot sich L. ein neues anatomisches Institut daselbst zu errichten, öffentliche Vorlesungen über die Anatomie unentgeltlich zu halten und die Uebungen an Leichnamen zu leiten. Er erbaute hierauf, im Auftrage und auf Kosten des Kaisers, mit einem Aufwande von 100 000 Rubeln, ein prachtvolles Anatomie-Gebäude, das von ihm am 10. November 1819 mit einer von ihm gehaltenen lateinischen Rede eingeweiht und eröffnet wurde. An diesem Institute lehrte er als Ehrenprofessor der Universität jährlich acht Monate lang die Anatomie und Physiologie und leitete die Secirübungen der Studenten und jungen Aerzte. Seine Vorlesungen, die er in lateinischer Sprache hielt, wurden auch von Professoren und Aerzten besucht; auch schrieb er noch ein Handbuch der Anatomie in lateinischer Sprache („Elementa anatomiae humani corporis“, Vol. I. 1823) und gab einen „Index praeparatorum aliarumque rerum ad anatomen spectantium, quae in museo Caes. Universitatis Mosquensis servantur“, 1823 (2. Aufl. 1826) heraus. Am 18. September 1827 wurde, unter allgemeiner Theilnahme von Hoch und Niedrig, sein 50jähriges Doctorjubiläum gefeiert. Ohne eigentliche Praxis zu treiben, wurde L. von den höchsten und reichsten Familien Moskau’s als Hausfreund consultirt. Er war außerdem Präsident des Kirchenrathes der ältesten evangelischen Gemeinde des russischen Reiches zu St. Michael sowie des Schulrathes in Moskau und stiftete oder erweiterte als solcher, mit Hülfe edeler Männer jener Gemeinde, mehrere Lehranstalten und Schulen; er war ferner Mitglied der kaiserlichen Gesetzcommission und, wie erwähnt, der Moskauischen Ritterschaft, des medicinischen Reichscollegiums, sowie zahlreicher Akademien und gelehrter Gesellschaften. – 1830, beim Ausbruch der Choleraepidemie, erwarb er sich neue Verdienste und schrieb noch eine kleine Schrift über dieselbe (1831). – 1831 war er zum Geh. Rath ernannt worden und ohne eigentlich krank gewesen zu sein verschied er am 16. April 1832 zu Moskau an Altersschwäche, aufrichtig von der Universität und den Einwohnern der Stadt betrauert. Zu seinem Andenken wurde eine öffentliche Rede gehalten und seine Marmorbüste im anatomischen Cabinet der Universität aufgestellt. – Vermählt war L. mit der Tochter des Göttinger Professors der Medicin Richter gewesen; sein Sohn Eduard, außerordentlicher Professor der Medicin in Königsberg, war bereits 1812 gestorben. Von Gestalt war L. klein, körperliche Beweglichkeit zeichnete ihn aus; aus seinem ganzen Benehmen leuchtete große Freundlichkeit und Heiterkeit hervor. – Nachdem wir im Vorstehenden einen Umriß von dem vielbewegten Leben Loder’s gegeben haben, aber von seinen litterarischen Leistungen nur den kleinsten Theil anzuführen im Stande waren, da, abgesehen von den vielen kleinen Gelegenheitsschriften ihm auch ein beträchtlicher Antheil an einer Reihe von Dissertationen gebührt, er auch mancherlei nicht der Medicin Angehöriges, namentlich Naturwissenschaftliches geschrieben und für die Jenaer Allg. Lit.-Zeitung seit ihrem Entstehen 1785 viele Beiträge geliefert hat, bleibt noch übrig, Einiges zu seiner Charakteristik als Förderer der Wissenschaft anzuführen. Wie bereits erwähnt, besaß er eine glänzende Lehrgabe und widmete sich auch in Jena und Halle mit voller Hingabe seinem Lehrberuf; allein er hatte bei demselben fast den größten Theil der Medicin (Anatomie und Physiologie, Chirurgie, Geburtshülfe, gerichtliche Medicin, Naturgeschichte) zu lehren, wie er heutzutage durch 5 – 6 Fachprofessoren vertreten wird. Daher kommt es wol, daß an seinen Namen sich keine großen Entdeckungen und Fortschritte, weder in der Anatomie noch in der Chirurgie, denen [79] er sich während seiner Lebenszeit am meisten zugewendet hat, knüpfen. Sein Hauptverdienst um die Anatomie besteht in der Herausgabe seines großen Atlas, zu einer Zeit, wo dergleichen Hülfsmittel für den Unterricht noch selten waren. Wenn die Abbildungen auch nicht alle nach Originalzeichnungen angefertigt waren, sondern vielfach Copieen aus älteren Werken sind, so genügte dies doch für den Unterricht vollkommen. Aus der Chirurgie ist ebenfalls nichts ihm Eigenthümliches anzuführen. Als Verdienst ist es ihm anzurechnen, daß er dem Alanson’schen Lappenschnitt bei Amputationen und der schnellen Vereinigung der Wunde dabei das Wort redete und ihn in Deutschland einzubürgern suchte. – Nichtsdestoweniger muß er als eine der bedeutendsten Erscheinungen seiner Zeit angesehen werden und ehrende Anerkennung durch seine Zeitgenossen ist ihm auch im reichsten Maß zu Theil geworden.

Vgl. Meusel, Gel. Teutschl. – J. G. Bernstein, Geschichte der Chirurgie, Thl. 2. 1823. S. 219. – v. Recke und Napiersky, Allg. Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland, Bd. 3. 1831. S. 92; Bd. 4. S. 618; Nachträge und Fortsetzungen Bd. 1. 1859. S. 20. – Neuer Nekrolog der Deutschen, Jahrg. 10. 1832. S. 298. – Callisen, Medicinisches Schriftsteller-Lexikon Bd. 30. 1842. S. 96.