ADB:Mohr, Friedrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Mohr, Friedrich“ von Albert Ladenburg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 67–69, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mohr,_Friedrich&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 22:17 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 22 (1885), S. 67–69 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Karl Friedrich Mohr in der Wikipedia
Karl Friedrich Mohr in Wikidata
GND-Nummer 118784455
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|22|67|69|Mohr, Friedrich|Albert Ladenburg|ADB:Mohr, Friedrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118784455}}    

Mohr: Friedrich M. wurde am 6. November 1806 in Koblenz geboren, wo sein Vater eine Apotheke besaß. Er war das jüngste von sechs Kindern und wurde, nachdem er schon in früher Jugend seine fünf Geschwister durch den Tod verloren hatte, mit besonderer Sorgfalt erzogen. Kränklichkeit nöthigte ihn öfters den Besuch der Schule, des Koblenzer Gymnasiums, auszusetzen, aber durch großen Fleiß und hervorragende Energie holte er nicht nur schnell das Versäumte ein, er übertraf sogar bald alle seine Mitschüler und erhielt schon 1823 mit 17 Jahren das Zeugniß der Reife zum Universitätsstudium. Während seiner Gymnasialzeit zog ihn besonders die Beschäftigung mit den griechischen und römischen Classikern an, eine Neigung, die er bis ins Alter hinein bewahrte. Zur Erholung von seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten las er die Alten im Urtext, veröffentlichte sogar noch in hohem Alter in den deutschen illustrirten Monatsheften einen geistvollen Aufsatz über „Homerische Anklänge im Kulturleben der Völker“. M. wurde, wie begreiflich, in der Apotheke des Vaters schon von Kind auf mit Retorte und Kolben bekannt; er entschloß sich auch nach bestandenem Abiturientenexamen, das Geschäft des Vaters zu übernehmen. Der junge Mann wandte sich zunächst nach Bonn, wo er drei Semester lang sich mit botanischen, chemischen und mineralogischen Studien beschäftigte, ohne, wie schon erwähnt, die classische Litteratur zu vernachlässigen. Dann kehrte er nach Hause zurück und verbrachte seine Lehrjahre in der Apotheke. 1829 zog es ihn wieder zur Universität und zwar wählte der strebsame Jüngling diesmal, besonders von L. Gmelin’s Rufe angezogen, als Aufenthalt Heidelberg. Von Gmelin selbst, der bald die Befähigung Mohr’s erkannte, wurde er mit besonderer Liebe aufgenommen. Zur Vervollkomnmung seiner wissenschaftlichen Laufbahn ging M. im Frühling 1831 nach Berlin, aus welcher Stadt ihn aber schon nach einem Semester die eben dort wüthende Cholera vertrieb. Nach Koblenz zurückgekehrt, bestand er bald das pharmaceutische Staatsexamen; im folgenden Jahre promovirte er in Heidelberg zum Dr. phil.. In Koblenz wirkte er sodann weiter in der Apotheke des Vaters, hielt aber auch in der dortigen Artillerieschule Vorträge über Physik und Mechanik. Als im J. 1840 Mohr’s Vater starb, übernahm der Sohn die Mohrenapotheke und wandte sich jetzt speciell der pharmaceutischen Technik zu, auf welchem Gebiete er Hervorragendes geleistet hat, ohne sich dabei von wichtigen theoretischen Fragen fern zu halten. Nach mehreren Jahren fruchtbringender Thätigkeit in der Apotheke verlangte der lebhafte Geist Mohr’s nach Veränderung. Nachdem er eine Zeit lang eine chemische Fabrik – durch widrige Verhältnisse leider an einem günstigen Erfolge verhindert – geleitet hatte, ließ er sich, von dem damaligen Prinzen von Preußen, unserem jetzigen Kaiser, und von dessen Gemahlin, der Prinzessin Augusta ganz besonders begünstigt, an der [68] Bonner Universität 1859 als Privatdocent nieder. Nicht viel später erhielt er die neuerrichtete Professur der Pharmacie zu Bonn, nachdem er schon einige Jahre zuvor zum Mitglied des rheinischen Medicinalcollegiums ernannt worden war. In Bonn wirkte nun M. in vielseitiger Weise, einestheils als gefeierter Lehrer, dann aber auch als wissenschaftlicher Schriftsteller. Seine Arbeiten im chemischen Laboratorium, denen er anfangs mit großem Eifer oblag, wurden ihm leider vom Jahre 1874 an sehr erschwert, wo er das Unglück hatte durch eine Krankheit ein Auge zu verlieren. Sonst blieb er in seinen letzten Jahren von Unwohlsein verschont, sein Tod, durch eine Lungenentzündung veranlaßt, erfolgte am 28. September 1879. Zwei Tage später wurde er in Bonn zur Erde bestattet, tief betrauert von seiner Familie, seinen Universitätscollegen und seinen vielen Schülern. – Zur Charakteristik der Persönlichkeit des Verschiedenen seien hier einige Worte seines Sohnes, des Fabrikanten Carl M. in Brüssel, citirt, der in einer Biographie seines Vaters sagt: „In Mohr’s Persönlichkeit erkannte man den wahren und ächten Naturforscher; sein ganzes Denken und Streben widmete er der Erforschung der Naturgesetze. Wenn er häufig im Redekampf seinen wissenschaftlichen Widersachern und Gegnern scharf und schneidig entgegentrat, so verfocht er doch nur mit äußerstem Freimuth und Unabhängigkeit seine erworbenen Ansichten, ohne damit die verdienstvollen Leistungen anderer Forscher in irgend einer Weise verringern zu wollen. … Sowie er im persönlichen Umgang liebenswürdig und für Jeden zugänglich war, war er auch in seinem Familienkreise ein liebe- und gemüthvoller Gatte und Vater, dafür wurde er auch im Kreise der Seinigen auf das Höchste verehrt und geliebt.“ Dem trefflichen Gelehrten hat es auch an äußeren Anerkennungen und Auszeichnungen für seine hervorragenden Leistungen nicht gefehlt. M. war, wie schon erwähnt, Medicinalrath und Assessor pharmaciae beim rheinischen Medicinalcollegium zu Koblenz und gehörte als correspondirendes, resp. Ehrenmitglied einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen und gelehrten Gesellschaften an in Deutschland, Oesterreich, Belgien, Holland, England, Rußland, sogar in den Vereinigten Staaten. M. hat im J. 1837 seine erste größere Arbeit veröffentlicht. Dieselbe führt den Titel „Ueber die Natur der Wärme“ und erschien in Baumgartner’s und v. Holger’s Zeitschrift für Physik und verwandte Wissenschaften, weil ihr in Poggendorff’s Annalen die Aufnahme versagt blieb. In Folge dessen ist auch die Abhandlung bis zu einem Wiederabdruck im J. 1869 so gut wie unbekannt geblieben, ja der Verfasser erfuhr erst nach vielen Jahren, daß die Abhandlung überhaupt gedruckt worden war. Nichts destoweniger enthält die Schrift eine Reihe genialer und geistreicher Gedanken, die aber leider nicht genügend durchgeführt und begründet sind. So wird die Einheit der Naturkräfte darin ausgesprochen, ebenso die Verwandlung der Kräfte ineinander. Da der Verfasser außerdem nach dem Vorgang von Lavoisier, Laplace, Rutherford u. A. die Wärme als Bewegung auffaßt und hervorhebt, daß von einer Kraft nichts verloren gehen könne, so darf er als Vorläufer Robert Mayer’s, der bekanntlich das Gesetz von der Erhaltung der Kraft zuerst klar erkannt und ausgesprochen hat, angesehen werden. Nach der Uebernahme der väterlichen Apotheke kam M., wie schon erwähnt, mehr auf praktische Studien. Sein erstes großes Werk in dieser Hinsicht ist die Vollendung und Herausgabe der von Geiger begonnenen „Pharmacopoea universalis“, ein Buch, das auch noch heutzutage nicht ohne Bedeutung ist. Im Anschluß an dies Werk veröffentlichte M. ein „Lehrbuch der pharmaceutischen Technik“, für Apotheker von ganz hervorragendem Werthe wegen der darin enthaltenen Beschreibungen vieler von M. zum Theil erfundener, zum Theil verbesserter pharmaceutischer Apparate. Um von letzteren wenigstens einige zu nennen, weise ich zum Beispiel auf die ungleicharmige, specifische Gewichtswage [69] hin, die gewöhnlich nach dem Namen des Erfinders benannt wird, sodann auf den mit einem Uhrwerk betriebenen Rührapparat zum Abdampfen der Extracte, sowie auf den Aetherextractionsapparat. Von größerer Bedeutung vielleicht ist der Commentar, den M. zu der in den 40er Jahren erschienenen neuen „Pharmacopoea borussica“ herausgab, ein Werk, das bald in den interessirten Kreisen einen so starken Absatz fand, daß es innerhalb 20 Jahren in fünf Auflagen erscheinen mußte. Besonders zuverlässig ist das Buch da, wo es sich um die Beschreibung der Darstellungsmethoden von chemisch-pharmaceutischen Präparaten handelt. Am meisten bekannt, und zwar in den weitesten Kreisen, wurde Mohr’s Name, als er in den 50er Jahren sich der chemischen quantitativen Analyse, speciell der Maßanalyse, zuwandte. M. hat die von Gay-Lussac und Anderen angewendeten Titrirmethoden in vortrefflicher Weise verbessert und vervollkommnet, er hat so viele neue und praktisch verwendbare Methoden angegeben, daß Mohr’s Name wol für immer mit der Titrirmethode verknüpft sein wird. Daß in vielen Auflagen bei Vieweg in Braunschweig erschienene, in allen chemischen und technischen Laboratorien fest eingebürgerte „Lehrbuch der chemisch-analytischen Titrirmethode“ enthält die Beschreibung der zur Maßanalyse erforderlichen, großentheils von M. erfundenen Gefäße, sowie die Aufzählung der namentlich für Laboratorien der Industrie so unendlich bedeutungsvollen maßanalytischen Vestimmungen. Es würde den Raum dieser Biographie weit überschreiten, wenn ich auch nur die wichtigsten derselben hier namhaft machen wollte; doch möchte ich wenigstens auf die von M. als Grundlage der Acidimetrie und Alkalimetrie statt Gay-Lussac’s Normalschwefelsäure eingeführte, leicht rein zu beschaffende Normaloxalsäure hinweisen und an die classische Chlorbestimmung mit 1/10 Normalsilberlösung und Kaliumchromat als Indicator erinnern. Das Buch wird für alle Zeiten dem praktischen Chemiker ein treuer Führer sein. Später hat sich M. namentlich mit theoretischen Fragen, und zwar geologischen und chemischen Inhalts beschäftigt, und zwei größere Werke, die 1866 erschienene „Geschichte der Erde“ und die 1868 publicirte „Mechanische Theorie der Affinität und die neuere Chemie“ sind die Früchte dieser Studien. Der Raum dieser Biographie verbietet jedoch auf diese Werke, die sich keine allgemeinere Anerkennung erwarben, näher einzugehen. Wir verdanken M. außerdem eine größere Zahl klar und anziehend geschriebener Aufsätze, die in Westermann’s Monatsheften, in der Gäa, der Kölnischen Zeitung etc. erschienen sind und die bestimmt waren, ein größeres Publikum für die verschiedensten Gebiete der Naturwissenschaft zu interessiren.