ADB:Schlosser, Johann Georg

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Artikel „Schlosser, Johann Georg“ von Rudolf Jung in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 544–547, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schlosser,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 03:43 Uhr UTC)
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Schlosser: Johann Georg S., Bruder von Hieronymus Peter S., wurde am 9. December 1739 zu Frankfurt a. M. geboren. Er absolvirte das Gymnasium seiner Vaterstadt, dessen einseitig classischen Unterricht bei trockenen Pedanten er selbst später mit harten Worten verdammt hat. Die Mathematik [545] blieb ihm bis zum 20. Lebensjahr fremd; bis zur selben Zeit durfte er zu Hause nur Schulbücher zur Hand nehmen, nur im Verborgenen konnte er mit der neueren Litteratur durch die Lectüre von Gottsched’s Schaubühne Fühlung gewinnen. Von früh an bestimmt, Advocat in seiner Vaterstadt zu werden, studirte er in Gießen bei Hoepfner, in Jena bei Hellfeld die Rechte und beschloß das Studium 1762 in Altorf durch die Promotion; seine Dissertation behandelte die Vormundschaft nach dem Rechte seiner Vaterstadt. Kurz darauf wurde er Advocat in Frankfurt. Diese Thätigkeit voll kleinlicher Geschäfte befriedigte seinen nach Goethe „strebenden und das Allgemeine suchenden Geist“ nicht; er folgte 1766 mit Freuden einer Berufung des Prinzen Friedrich Eugen von Württemberg als dessen Geheimsecretär und Leiter der Erziehung seiner Kinder nach Treptow a. d. R. Auf der Reise dorthin besuchte S. Goethe in Leipzig. Zehn Jahre älter als der jugendliche Dichter war er diesem in jeder Hinsicht überlegen, doch kam er seinem Landsmann und dessen litterarischen Neigungen in so freundlicher Weise entgegen, daß von da ab eine feste Freundschaft die beiden Landsleute trotz des Unterschiedes des Lebensalters, des Charakters und der Bestrebungen verband. Auch von Treptow aus blieb S. mit Goethe in Verbindung; sie wechselten Briefe in mehreren Sprachen, Goethe rühmte, wie viel er der Weltkenntniß und der „ernsten, edlen Denkweise“ Schlosser’s damals verdankte. In Treptow entstanden Schlosser’s erste litterarische Arbeiten, die aber erst später im Druck erschienen: poetische Uebersetzungen aus der Ilias und aus Plato, sowie der Anti-Pope (in englischer Sprache) gegen Pope’s unbefriedigende Lehre von der menschlichen Glückseligkeit in seinem Versuch über den Menschen. 1769 verließ S. Treptow, um wieder in Frankfurt seine advocatorische Thätigkeit aufzunehmen, empfand aber bald wieder die alte Abneigung gegen diesen Beruf, so daß er sich mit größerem Eifer litterarischen Arbeiten widmete. 1771 erschien sein Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk, welcher wegen angeblich zu geringen christlichen Gehaltes mehrfach Anstoß erregte, aber, von hervorragenden Männern mit voller Anerkennung begrüßt, eine ganze Reihe von Ausgaben erlebte und der Vorgänger vieler ähnlicher Schriften geworden ist. Mit Merck und Hoepfner redigirte dann S. die Frankfurter Gelehrten Anzeigen, an denen auch Goethe mitarbeitete, damals College Schlosser’s als Advocat und von demselben in seiner amtlichen Thätigkeit stark beeinflußt. Beide Advocaten traten gegenüber der Frankfurter Geistlichkeit energisch für die Anzeigen ein, als dieselben 1773 von dem Hamburger Pastor Goeze wegen einer absprechenden Kritik seiner Betrachtungen über das Leben Jesu und in anderen Fällen bei den städtischen Behörden verklagt wurden. Zu den gemeinsamen litterarischen und geschäftlichen Bestrebungen, welche S. mit Goethe verknüpften, traten jetzt auch die Bande der Verwandtschaft. S. bewarb sich um die Hand von Goethe’s Schwester Cornelia (geb. am 7. Decbr. 1750), die Verbindung wurde am 1. November 1773 vollzogen, als S. mit dem Titel eines Markgr. Bad. Hof- und Regierungsrathes in den Dienst des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, eines der hervorragendsten Vertreter des „aufgeklärten Despotismus“ (s. A. D. B. XV, 241), eingetreten war. Unzufriedenheit mit seiner Thätigkeit als Advocat und der Wunsch nach einem ausgedehnteren Wirkungskreise, der ihm auch wissenschaftliche Arbeit verstatte, hatte ihn zu der Veränderung in der Stellung veranlaßt. Nach kurzer Thätigkeit in Karlsruhe ward S. Oberamtmann der Markgrafschaft Hochberg mit dem Wohnsitz in Emmendingen; nach Goethe war es Schlosser’s schroffe Rechtlichkeit, die ihn am Sitze der Regierung unbequem erscheinen ließ und seine Versetzung nach Emmendingen veranlaßte. In seinem selbständigen Amt und dem eigenen Heim fühlte sich S. völlig glücklich. Nicht so die Gattin: sie war S. nicht aus Liebe gefolgt, sie empfand zwar für seinen Charakter und seinen [546] Werth als Mann die größte Achtung, stand aber seinen wissenschaftlichen Arbeiten fremd gegenüber; sie fühlte sich in dem kleinen Landstädtchen vereinsamt, während sie in Frankfurt an eine geistig anregende Geselligkeit gewöhnt war, und empfand schmerzlich die Trennung von dem geliebten Bruder; dazu traten körperliche Leiden, welche ihr die letzten Lebensjahre verbitterten. Allmählich wurde das Verhältniß Cornelia’s zu S. herzlicher; ihr früher Tod am 8. Juni 1777 war ein schwerer Schlag für S., wie für Goethe, Lenz und die anderen Freunde des Schlosser’schen Hauses. Am 24. September 1778 führte S. als zweite Gattin Johanna Fahlmer heim (geb. 16. Juni 1744, † 31. October 1821), eine nahe Verwandte der beiden Jacobi; in einem tief empfundenen Brief voll wehmüthiger Erinnerung an die früh verstorbene Schwester begrüßte Goethe sie als die Nachfolgerin Cornelia’s. Neben der amtlichen Thätigkeit entfaltete S. in Emmendingen eine überaus vielseitige litterarische; hier entstanden eine ganze Reihe von philosophischen, moralischen, politischen Aufsätzen, meist in Zeitschriften veröffentlicht; der Anti-Pope wurde deutsch herausgegeben, mehrere philosophische und dramatische Werke des Alterthums übersetzt und eifrig Mathematik getrieben. Daneben pflegte S. einen regen Verkehr mit den Freunden in der Schweiz, Baden und Elsaß, wie Lavater, die Jacobi, Lenz, Pfeffel, Lerse, Salzmann, Iselin u. a. 1775 war Goethe allein, 1778 mit Karl August in Emmendingen. Aus Schlosser’s mehr politischer Thätigkeit ist seine Theilnahme an der damaligen Bewegung in der Gesetzgebung hervorzuheben. Schon 1773 hatte er in Rücksicht auf Carmer’s preußisches Gesetzwerk einen Vorschlag zur Verbesserung des deutschen bürgerlichen Rechtes ohne Abschaffung des Römischen Corpus juris veröffentlicht, worin er sich als Vorläufer der historischen Rechtsschule zeigt; 1783 folgte er einem Rufe Joseph’s II. nach Wien zur Theilnahme an Konferenzen über eine Gesetzverbesserung in den österreichischen Staaten, überall Beziehungen amtlicher und litterarischer Art mit hervorragenden Männern anknüpfend. In demselben Jahre trat er als eifriges Mitglied dem Illuminaten-Orden bei, um gegen die Feinde der Aufklärung und den Despotismus zu streiten. Sein amtliches Wirken fand zwar die volle Anerkennung der Regierung: er wurde Chef des oberländischen Bergwesens, sorgte für Errichtung von Fabriken und war in jeder Weise bemüht, seinen Bezirk zu heben; doch fehlte es nicht an Spannungen mit der Regierung, die ihren Grund in Schlosser’s strengem Rechtssinne auch nach oben hatten, wenngleich der Fürst ihm stets gewogen blieb. 1787 bat er deßhalb um eine Stelle, „an der er nicht reden dürfte, bis man ihn fragte“, und wurde als Geh. Hofrath nach Karlsruhe versetzt, wo er, zuerst am Geh. Staatsarchiv und dann beim Landescollegium beschäftigt, eine vielseitige Thätigkeit in allen Regierungsgeschäften entfaltete. 1790 wurde er Director des Hofgerichtes und als Wirkl. Geh. Rath Mitglied des geheimen Rathes. Ein nach seiner Ansicht nicht zu rechtfertigender Eingriff des Markgrafen in das Vorgehen des Hofgerichtes gegen einen tiefverschuldeten Grafen veranlaßte S. zur Einreichung seines Entlassungsgesuches; 1794 schied er unter voller Anerkennung seines Fürsten und zu tiefem Bedauern des Landes aus dem markgräflichen Dienste aus, dem er über zwei Jahrzehnte als einer der hervorragendsten Beamten angehört hatte. Die letzten Jahre im Süden verbrachte er in stetem Verkehr mit den litterarischen Berühmtheiten seiner Zeit: mit J. G. Jacobi, dem er eine Professur in Freiburg verschafft hatte, mit Lavater, den er mehrmals in der Schweiz besuchte, mit Goethe in Heidelberg während der Belagerung von Mainz – hier sahen sich die beiden Schwäger zum letzten Mal, Goethe’s Darstellung von einem beiderseitigen Mißbehagen wird durch seine eigenen Briefe widerlegt –, mit Fritz Stolberg, mit G. Forster in Mainz, dessen Schwärmerei für die Revolution S. [547] durchaus verdammte. Von seinen Schriften aus dieser Zeit seien erwähnt: „Xenocrates oder über die Abgaben“ (1784) gegen Schlettwein’s physiokratisches System, die Polemik gegen die Berliner Monatsschrift, die ihn als Gläubigen Cagliostro’s verdächtigt hatte, die nach Hugo und Savigny sehr beachtenswerthe Kritik an Svarez’ Entwurf eines preußischen Gesetzbuches (1789); S. war früher zur Mitarbeit an demselben aufgefordert worden, hatte aber aus persönlichen und sachlichen Gründen abgelehnt. S. beabsichtigte wegen der Kriegsunruhen im Südwesten sich in eine norddeutsche Stadt zurückzuziehen und dort nur den Musen und der Erziehung seines Sohnes zu leben. Nach längerem Aufenthalt in Ansbach 1796 wählte er Eutin, den Wohnort von Fritz Stolberg, Voß, seines Schwiegersohnes Nicolovius und zeitweilig Jacobi’s. Hier beschloß er seine schriftstellerische Thätigkeit mit einer Polemik gegen Kant über dessen ewigen Frieden und mit der Uebersetzung von Aristoteles’ Politik und Oekonomik. Er sollte sein Leben nicht in der ersehnten Muße zu Eutin enden: als ihn 1798 seine Vaterstadt in ehrenvollster Weise als Syndicus berief, nahm er die Stelle an und siedelte nach Frankfurt über, welches, zu jener Zeit in seinem Bestand als Reichsstadt allseitig bedroht, einer tüchtigen staatsmännischen Kraft sehr bedürftig war. Aber schon am 17. October 1799 wurde S. seiner Vaterstadt mitten aus einer umfangreichen und ihn vollbefriedigeuden Thätigkeit durch einen plötzlichen Tod entrissen. – Von Schlosser’s Schriften sind oben nur die bedeutendsten erwähnt: die lange Reihe derselben hat sein Enkel Nicolovius am Schlusse der Biographie des Großvaters zusammengestellt; S. selbst veröffentlichte eine Sammlung seiner kleinen Schriften in 6 Theilen 1779–93. Sie umfassen die Gebiete der Politik, Rechtswissenschaft, Moral, Philosophie, Theologie, Geschichte und auch einige Dichtungen. Sie sind heute so gut wie verschollen; sie wurzeln in ihrer Zeit und deren besonderen Anschauungen; der Enkel urtheilt darüber zutreffend: „S., genährt mit dem Marke des classischen Alterthums, stellte in seinen Schriften, beinahe stets mit Beziehung auf practische Wirksamkeit, die fruchtbarsten Wahrheiten aus dem Gebiete der Politik, Geschichte, Moral und Philosophie mit Freimüthigkeit und Beredsamkeit dar. Der gegenwärtigen Zeit ist er als Schriftsteller entfremdet. Wenn er auch, wie Burke, in seinem heiligen Eifer in manches Paradoxe gerieth, so verkündigte er gleichwohl mit Muth, Feuer und Kraft viele Wahrheiten, die heutzutage sehr verkannt werden und dennoch dem Zeitalter höchst dienlich sind.“ – Aus erster Ehe hatte S. zwei Töchter: Luise, welche sich 1795 mit G. H. L. Nicolovius (s. A. D. B. XXIII, 635) vermählte und 1811 starb, und Julie, † 1793; aus zweiter Ehe eine Tochter Henriette, 1809 mit D. Hasenclever vermählt, und einen Sohn Eduard, der 1807 als preußischer Militärarzt starb. –

Vgl. A. Nicolovius, Joh. Georg Schlosser’s Leben und litterarisches Wirken (Bonn 1844). – Heyden, Gallerie berühmter Frankfurter (Frankfurt 1861). – Goethe, Aus meinem Leben. – Dechent, Goethejahrbuch X, über Schlosser’s Betheiligung an den Frankfurter Gelehrten Anzeigen. – Stölzel, C. G. Svarez (Berlin 1885), über Schlosser’s Stellung zum preußischen Gesetzwerk. – Erdmannsdörffer, Polit. Korrespond. Karl Friedrichs v. Baden, Bd. 1 (Heidelberg 1888), über Schlosser’s Thätigkeit in badischen Diensten. – Ferner über Cornelia Goethe: Düntzer, Frauenbilder aus Goethe’s Jugendzeit (Stuttgart u. Tüb. 1852). – Geiger, Briefe Goethe’s an Cornelia, Goethejahrbuch VII. – Suphan, Zwei Briefe Cornelia’s, ebenda IX, und Weinhold, Aus Lenz’ Nachlaß, ebenda X. – Ueber Johanna Fahlmer: Urlichs, Briefe von Goethe an Johanna Fahlmer (Leipzig 1875).