ADB:Theoderich II.

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Artikel „Theoderich II.“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 694–696, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Theoderich_II.&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 19:52 Uhr UTC)
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Theoderich II., Westgothenkönig, a. 453–466, Sohn des Vorigen. Die Wahl des auf dem Schlachtfeld bei Troyes zum König erhobenen andern Sohnes Theoderich’s I., des Thorismund (s. den Artikel), zum König mochte vielleicht von den nicht daselbst versammelten Gothen, zumal aber von den fünf (jüngeren?) Brüdern des gekorenen, die in dem Palaste von Toulouse zurückgeblieben waren, – Theoderich, Fridrich, Eurich, Retimer und Himerith – als nicht voll verbindlich angesehen werden; wenigstens gelang es Aëtius, Thorismund von seinem Vorhaben, Attila vollends zu vernichten, besonders durch den Hinweis auf die von den Brüdern drohende Gefahr abzubringen und zur eiligen Rückkehr nach Toulouse zu bewegen. Der Erfolg gab jener Warnung Recht: schon nach zwei Jahren ward Thorismund von Th. und Fridrich ermordet. Ueber die Beweggründe sind nur Vermuthungen möglich (s. dieselben unter Thorismund). Th. folgte als König, mußte aber dem Mitverschworenen Fridrich eine dem Throne sehr nahe Stellung als Hauptfeldherr einräumen (sogar rex wird Fridrich – übrigens zu Unrecht – einmal genannt).

War die feindliche Haltung Thorismund’s gegen Rom vielleicht ein Grund oder Vorwand für seinen Untergang durch römerfreundliche Gothen gewesen, so neigte Th. II. folgerichtig zu dem Imperator (Valentinian III.) und ließ schon 454 durch Fridrich den Aufstand der Bagauden – ein Bundschuh der unter dem römischen Steuerdruck verzweifelnden Bauern und Colonen – in Spanien niederwerfen. Des Valentinian Mörder und Nachfolger Maximus bemühte sich, die in Gallien waltenden Mächte, also auch die Westgothen, zu gewinnen und Avitus, der Präfect dieser Provinz, vermittelte abermals wie schon a. 446 unter Theoderich I. (s. diesen) zwischen dem Kaiser und dem Gothenkönig, dem er, wie einst dessen Vater, als Freund, als Lehrer, als Einführer in die römische Bildung nahe stand: er hielt mit Th. und Fridrich glänzend Einzug in Toulouse. Als bald darauf Maximus ermordet wurde (10. Juli 455), that daher Th. dasselbe, was in ähnlichen römischen Wirren vordem Alarich und Athaulf gethan, d. h. er erhob den ihm befreundeten Avitus zum Imperator des Westreichs: sich selbst zu dieser Stellung erheben zu lassen – Niemand konnte ihn davon abhalten – fällt ihm so wenig ein wie jenen seinen Vorgängern und andern früheren (Arbogast), gleichzeitigen (Rikimer) und späteren (Stilicho, Odovakar, Theoderich) Germanen, die thatsächlich im Abendland geboten: erst Karl der Große hat germanischem Königthum das Imperatorenthum beigestellt. Viel glaubhafter als die Redensarten des Eidams des Avitus, des Apollinaris Sidonius, wonach der Präfect nur gezwungen dem Drängen des Königs nachgibt, ist der Bericht Gregor’s von Tours, daß Avitus selbst, getragen von dem Eifer des gallischen Provincialen, nach dem Imperium trachtete. Es war ganz besonders eine gallische Bewegung: wie die Versammlung der gallischen „Notabeln“ (honorati) und des gallicanus exercitus zu Toulouse zeigte, stützte sich Avitus nicht nur auf die Gothen: der Erhebung durch diese zu Toulouse schließt sich feierliche Anerkennung durch den gallischen Adel zu Ugernum an: Gallien hatte lange mit Eifersucht und mit schwerer Schädigung die launenhafte Erhebung und Beseitigung von Imperatoren durch Italien allein ertragen: die Provinz fand Vortheil und Schutz durch die Festigung des „foedus“ mit den Gothen, die andererseits von dem doch vielfach abhängigen Avitus reiche Geschenke an Gold erhielten. Alsbald äußerte sich das neue Foedus in einem Umschlag der Haltung der Gothen gegen die Sueben in Spanien: die Verheerungen des Suebenkönigs Rekiar, des Schwagers von Th. (s. Theoderich I.) [695] sollten durch gemeinsame Gesandtschaften des Kaisers und Theoderich’s, dann besondere des letzteren gehemmt werden: nach trotziger Abweisung führte Th. im Namen und Auftrag des Imperators seine Gothen und die ebenfalls föderirten Burgunden über die Pyrenäen, schlug die Sueben bei Paramo, zwölf Meilen von Astorga (5. Oct. 456), gewann deren Hauptstadt Braga (Bracara) 28. Oct., durchstreifte das ganze Suebenreich bis Merida in Asturien – diese Stadt ward nur durch die Schreckenswunder ihrer Schutzheiligen Sancta Eulalia vor der Plünderung gerettet – und setzte an der Stelle des verwundeten, auf der Flucht zu Portus Cale gefangenen und hingerichteten Rekiar einen von ihm abhängigen Warnen Aiulf, dessen Versuch, sich nach Theoderich’s Abzug unabhängig zu machen, alsbald blutig unterdrückt wurde. Th. war eilig nach Hause gerufen worden durch die Nachricht, sein Kaiser Avitus sei in Italien abgesetzt und durch Majorianus ersetzt worden (Mai oder September a. 456 zu Piacenza).

Sofort erfolgt ein abermaliger Umschlag: Westgothen und Burgunden behandeln den Nachfolger des Avitus als Feind: der Personenwechsel der Imperatoren gewährt Grund oder Vorwand genug, das doch mit dem Imperium geschlossene Foedus zu brechen und römische Wirren zur Ausbreitung der eigenen Macht auf Kosten Roms zu verwerthen: Th. ließ einen Theil seines Heeres in Spanien zurück, das, 457/58 verstärkt, die Provinzen Galläcien, Asturien, Bätica, Lusitanien theils verheerte, theils unterwarf als im Kampfe gegen die suebischen Gaukönige, nicht mehr im Auftrag Roms, aber zuweilen durch Vorschützung eines solchen arglistig in die Thore der Stadt sich schleichend. In Gallien aber griff Th., die Friedensvorschläge Majorian’s verwerfend, abermals – und abermals noch vergeblich – auf das schon so lange von den Gothen angestrebte (s. Theoderich I.) Arles (459). Aegidius, des Aëtius Nachfolger in Vertheidigung des vielangestrittenen römischen Besitzstandes in Gallien, schlug die Gothen: nun erneuerte Th. das Foedus mit Majorian, der ja auch der unsichern Verbündeten weder entrathen noch sich entledigen konnte und alsbald straften Römer und Gothen gemeinsam unter einem römischen Magister Militum und einem gothischen Grafen Sunjarich die (Ostern 461 verübte) Ermordung römischer Einwohner der galläcischen Stadt Lugo durch die Sueben (Ostern 461). Als aber (a. 462) Majorian von dem gewaltigen Königsmacher, dem Sueben Rikimer (s. A. D. B. XXVIII. 615) ermordet ward, begann Th. in Ausnutzung römischer Wirren das alte Spiel: Aegidius wollte den von Rikimer erhobenen Nachfolger Majorian’s, Severus, nicht anerkennen, sondern mit dem gallischen Heere Rikimer und dessen Geschöpf in Italien angreifen: nur die zweideutige, drohende Haltung Theoderich’s hielt ihn von der Entblößung Galliens ab. Da erkauften Anhänger des Severus und Gegner des Aegidius des Gothen Waffenhülfe gegen Aegidius durch Preisgebung der wichtigen Stadt Narbonne, deren Befehlshaber Agrippinus Th. die Thore der lang angestrebten Veste öffnete. Nun mußte Aegidius bis über die Loire zurückweichen: hier aber, bei Orléans machte er plötzlich Halt, wandte sich und schlug die unvorsichtig nachdrängenden Gothen, deren Feldherr Fridrich, des Königs Bruder fiel, so schwer aufs Haupt, daß er mit Franken und seit 410 hier angesiedelten Alanen im Bunde die von jeher viel umstrittene Loire wieder überschreiten konnte: sein plötzlicher Tod befreite die Gothen – und die Germanen in Gallien überhaupt – von dem letzten Mann, der diesen nach Aëtius den römischen Schild erfolgreich entgegengehalten hatte: sein Sohn Syagrius erlag zwanzig Jahre später in gleichem Streben dem Merovingen Chlodovech. Sofort wandte sich Th. nun wieder gegen die Römer im Nordosten seiner Grenzen und versuchte auch im Suebenreich durch Feldzüge, durch Verhandlungen, durch angestrebte Verschwägerung, vielleicht durch Annahme des Suebenkönigs Remismund als Waffensohn seine [696] Macht zu verstärken: mitten in diesen Strebungen „büßte er wie er gefrevelt“: d. h. er ward von einem Bruder ermordet. Dieser Bruder Eurich hob das Westgothenreich zu dem höchsten Gipfel der Macht, den es erreichen sollte.

Quellen und Litteratur: wie zu Theoderich I. Sehr lehrreich – auch für die Sittengeschichte – ist die anschauliche Schilderung der gesammten Tagesordnung und Lebensweise Theoderich’s und seines Hofes, die Apollinaris Sidonius II, 2 entworfen hat.