RE:Eukleides 5

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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aus Megara, Schüler des Sokrates, Begründer der Philosophenschule
Band VI,1 (1907) S. 10001003
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5) Eukleides aus Megara (Cic. Ac. pr. II 129; die abweichende Angabe des Alex. Polyh. bei Diog. Laert. II 106 hat wenig für sich), Schüler des Sokrates, Begründer der Megarischen Philosophenschule. Nach der Anekdote (Gell. VI 10) über seine nächtlichen Besuche in Athen würde seine Verbindung mit Sokrates bis in die Anfänge des Peloponnesischen Krieges (Thuc. I 139) zurückreichen. Aber auch die durch Hermodoros bei Diog. II 106. III 6 bezeugte Tatsache, daß nach dem Tode des Sokrates eine Anzahl seiner Schüler, darunter Platon, sich um E. in Megara sammelte, läßt schließen, daß er zu den älteren Mitgliedern des Sokratischen Kreises gehörte, vielleicht schon seine Schule in Megara begründet hatte (über diese vgl. Diog. II 106. VI 24. Strab. IX 393). Aus Plat. Theaet. 142 C. 143 A ergibt sich gleichfalls, daß E. im Todesjahr des Sokrates nicht etwa für längere Zeit in Athen seinen Aufenthalt genommen hatte, sondern bloß des Meisters wegen öfters aus seiner Heimat dorthin kam (so war er, nach Phaedo 59 C, auch bei der letzten Unterredung des Sokrates zugegen). Und wenn bei Platon Crito 53 B sowie Phaed. 99 A vorausgesetzt wird, daß Sokrates, wenn er sich zur Flucht verstanden hätte, in Megara oder Boiotien eine Zuflucht gefunden hätte, so ist dabei ebenso gewiß, was [1001] Megara betrifft, an E. und seinen regelmäßig mitgenannten Landsmann und Freund Terpsion, wie, was Boiotien betrifft, an die Thebaner Simmias und Kebes (vgl. Crito 45 B) gedacht. Aus dem Theaetetprooem geht ferner hervor, daß E. noch lebte und rüstig war, als Theaitetos, längere Zeit nach Sokrates Tod, in einem Gefecht vor Korinth verwundet wurde. Der Zeitpunkt dieses Ereignisses ist streitig; die Annahmen schwanken zwischen der Zeit des Korinthischen Krieges (394–392) und dem J. 368. Nimmt man den letzteren Termin an, so müßte man sich E. in hohem Alter denken, was der Text keineswegs nahelegt. Daß Stilpon noch den E. selbst, nicht bloß dessen Schüler gehört haben sollte (Diog. II 113. VI 89, wonach Suid. s. Στίλπων zu berichtigen, s. Diokleides), ist jedenfalls unwahrscheinlich und der Irrtum leicht erklärbar. Nach diesem allem läßt sich die Lebenszeit des E. ungefähr 450–380 ansetzen. Man besaß von E. sechs Dialoge (Diog. 108. Suidas. Hirzel Der Dialog 110; die Hypothesen Teichmüllers Lit. Fehden II 314 erweisen sich, wie gewöhnlich, bei näherer Prüfung unhaltbar). Welchen Grund Panaitios fand, die Echtheit dieser Dialoge zu bezweifeln (Diog. 64), entzieht sich unserer Kenntnis. Das einzige erhaltene Bruchstück (denn offenbar gehören eng zusammen Lucil. bei Censorin. de die nat. 3, 3 und Stob. flor. 6, 65 M. [63 H.]. wozu Robert Thanatos 1879, 23) bestätigt nicht die Erwartung, daß die Dialoge des E. sich an die strenge Form der Frage und Antwort (Diog. II 106. 135) gebunden hätten, welche die stehende Lehrform der Megarischen Schule allerdings war. Das vermeintliche Fragment bei Hermeias zu Plat. Phaedr. p. 76 Ast hat Schanz Herm. XVIII 129 mit Recht nach der zuverlässigeren Textüberlieferung dem Herakleides zurückgegeben. Sonst wird uns nur eine sanftmütige Antwort überliefert, durch die E. seinen erzürnten Bruder entwaffnet habe (Stob. flor. 84, 15. Plut. de ira 14, 462 C; frat. am. 18, 489 D). Darnach scheint E. ein ebenso sanfter Mensch als (nach Diog. II 30) schroffer Dialektiker gewesen zu sein. Was die Lehre des E. betrifft, hat schon Ritter (Rh. Mus. II 1828, 295ff.) bewiesen, daß er nach allen direkten Zeugnissen (Cic. Ac. pr. II 129. Diog. II 106. VII 161. Aristocl. bei Euseb. pr. ev. XIV 17) an der Einheitslehre der Eleaten in aller Strenge festgehalten, gleich diesen nicht nur alles Werden, sondern auch alle Verschiedenheit dem wahren Sein abgesprochen, das Erscheinen schlechthin für Nichtsein erklärt, das Zeugnis der Sinne rückhaltlos der Forderung des Logos geopfert, dann aber die Sokratische Lehre in der Weise damit verbunden hat, daß er das eine, immer mit sich identische Sein ferner dem Guten gleichsetzte; dies alles, wie auch Vernunft, Gott usw., seien nur verschiedene Namen einer und derselben Sache. Damit ist unvereinbar eine Annäherung an Platons Lehre von den vielen Ideen, wie sie zuerst Schleiermacher in Plat. Soph. 246 B. 248 A angedeutet fand, dann andere (Deycks De Megar. doctr., 1827. Brandis u. a. Zeller Phil. d. Gr. II a4 252, 2. 3, wo weitere Literatur) bestimmt behauptet, aber schon Ritter (a. a. O.) mit guten Gründen bestritten, die jüngere Platonforschung fast einmütig abgelehnt hat (Zusammenstellung [1002] bei Gomperz Griech. Denker II 596, wozu hinzuzufügen: Dümmler Antisth. 51. Natorp Philos. Monatsh. XXIV 482ff. XXX 70ff.; Platons Ideenlehre 1903, 284. Windelband Gesch. d. alten Philos., 1888, 81f.). Jene Annahme widerstreitet vor allem dem wiederholten, unzweideutigen Zeugnis des Aristoteles (Metaph. M 4, 1078 b 11. Eth. Nic. A 1, 1096 a 13. 17), wonach Platon die Ideenlehre zuerst aufgebracht hat, während jene Annahme mit dieser Lehre E. dem Platon vorangehen läßt. Arist. metaph. N 4, 1091 b 13, was man ebenfalls auf eine Megarische Ideenlehre deuten wollte, bezieht sich vielmehr auf die späteste Form der Platonischen Lehre (s. Bonitz und Schweglers Commentare, denen auch Zeller 261, 2 beistimmt). Dagegen hat nicht erst Stilpon (Diog. II 119, vgl. Natorp Philos. Monatsh. XXX 71), sondern schon ältere Megariker (so Polyxenos, s. unter Bryson Bd. III S. 928, 48) die Ideenlehre bekämpft und Platon deren Angriffe im Staat und im Parmenides berücksichtigt (wie mit Stallbaum Proleg. in Plat. Parm. 55. Apelt Beitr. z. Gesch. der griech. Philos. 45ff. Natorp aa. OO. und auch Zeller 259, 1 annimmt). Ja es scheint, daß Platon zur eingehenden Prüfung der Eleatischen Lehre im Theaet. Parm. und Soph. besonders durch das Fortleben dieser Lehre in der Schule von Megara veranlaßt worden ist. Richtig somit bezeichnet Gomperz (143) die Megariker als Neu-Eleaten; E. ethisiere die Eleatische Metaphysik, objektiviere die Sokratische Ethik (142). Aber die Eleatische Lehre erfuhr durch Aufnahme des Sokratischen Elements eine homogene Weiterbildung nicht, die Sokratische Ethik vollends geriet durch die metaphysische Wendung, die ihr E. gab, in gänzliche Erstarrung. Sind das Gute, die Besinnung, die Tugenden u. s. w. nur ebenso viele Namen desselben unterschiedslos Einen, so ist der Ethik so gut wie der Physik und schließlich auch der Logik die Lebensader durchschnitten. Daher war diese Philosophie, über die nur zu einfache Grundthese hinaus, zu bloßer unfruchtbarer Negation verurteilt. Von E. wird auch weiter nur überliefert (Diog. 107): 1. daß er die Widerlegung von Beweisen nicht durch Bestreitung der Prämissen, sondern des Schlußsatzes selbst, d. h. apagogisch führte; das ist das Verfahren des Eleaten Zenon, wie es Platon im Parmenides beschreibt und selber anwendet, nach obigen Annahmen, um die Megariker mit ihrer eigenen Waffe zu schlagen (so Stallbaum a. a. O. 314); 2. daß er die Bedenklichkeit des Analogieschlusses aufzeigte, was ein rühmliches Streben nach logischer Strenge zwar beweist, aber den einseitig negativen Gebrauch, den E. von seiner Dialektik machte, nur bestätigt. Eben daraus erklärt sich, daß bei den Nachfolgern die Megarische ,Dialektik‘ ganz in ,Eristik‘ ausartet. Direkte Schüler des E. waren Ichthyas, Pasikles (s. Diokleides) und wohl auch Bryson (s. d.). Von späteren Megarikern sind die namhaftesten Eubulides, Alexinos, Stilpon und Diodoros Kronos, welcher den ursprünglichen Charakter des Euklidischen Neu-Eleatismus am treusten bewahrt. Literatur (außer der schon angeführten): Henne École de Mégare, 1843. Mallet Hist. de l’école de Még. et des écoles d’Elis et d’Erétrie, 1845. [1003] Hartenstein Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1846, 190ff. = Hist. philos. Abhd. 127ff. Grote Plato III 473. Überweg-Heinze Grundr. d. Gesch. d. Philos. I § 35.

[Natorp. ]